Übersicht
Orientierungsschule Basel, Schulhaus Brunnmatt
Lernen vom Christentum und dem Islam
Das Nebeneinander verschiedener Religionen gehört für viele Kinder längst zum Alltag. Zumindest zu dem Teil ihres täglichen Seins, welcher sich im Schulhaus abspielt. Diese Selbstverständlichkeit bedeutet aber nicht, dass Diskriminierungen keinen Raum haben. "Die Furcht vor dem Fremden ist unausgesprochen präsent und damit auch die Bereitschaft zu Vorurteilen", so Katechet Lars Wolf-Plüss. Um Wissen zu vermitteln und Verständnis zu wecken krempelte er gemeinsam mit einer muslimischen Mutter aus dem Elternrat den Religionsunterricht um. Gelehrt wurde nun bis zu zwölf Lektionen lang im Team: Seite an Seite, Religion neben Religion - und stets im Dialog.
Die Initialzündung
Wie viele Schulhäuser besitzt auch das Schulhaus Brunnmatt einen hohen Ausländeranteil. Kinder muslimischen Glaubens und SchülerInnen christlicher Religionszugehörigkeit treffen immer wieder aufeinander. Sich zu arrangieren ist dabei das Eine, Verständnis füreinander zu haben, Toleranz aufzubringen für Verhalten und Aussehen, welches dem eigenen nicht entspricht, das Andere. Vor dem Hintergrund, dass SchülerInnen vor allem während der Zeit der Pubertät vielen persönlichen Schwankungen unterliegen, dass dies eine wichtige Zeit der Weichenstellung ist, sollte das Thema "Meine eigene Identität" angeregt werden. Was in anfangs nur einer Klasse als Team-Teaching eines Katecheten und einer Muslimin begann, erhielt solch positive Resonanz, dass es als Projekt auf die ganze Schule ausgeweitet wurde. Idealerweise bestand dazu die Möglichkeit, da sich im Elternrat eine muslimische Mutter mit Ausbildung als interkulturelle Mediatorin befand.

Die Ziele
Zu einem alten Weisen kam ein junger Mann und fragte: " Sag mir, weiser Mann, wann weiss ich, dass der Tag beginnt? Wenn ich die Sterne nicht mehr sehe, oder wenn ich Farben wahrnehme?". Der Weise schwieg eine Zeit lang und sah den jungen Mann an: "Wenn du im Angesicht des Menschen, der dir begegnet, deinen Bruder, deine Schwester erkennst, dann weißt du, dass der Tag begonnen hat."

Den Islam als Nachbarschaftsreligion, nicht als feindliche Gegenreligion zu erleben und zu diskutieren, mit diesem Anliegen ging man an der OS Brunnmatt ans Werk. Dabei galt das Augenmerk nicht nur dem informativen Kennenlernen des Fremden. In der Auseinandersetzung mit den eigenen (diskriminierenden) Erfahrungen, welche mit diesem "Anderen" gemacht wurden, mit in sich selber schlummernden Vorurteilen, sollten die SchülerInnen beider Religionskreise ihr Selbst erfahren und reflektieren. Ziel war es aufzuzeigen, dass Entwicklung nicht unter Ausschluss von fremden Einflüssen stattfindet; dass die persönliche Entwicklung in eine Richtung nicht bedingt, andere Richtungen abzulehnen. Eine gute Basis für die Entwicklung von Verständnis und Toleranz füreinander sollten am Ende des Team-Teaching-Projekts geschaffen worden sein. Vorurteilen, wie sie vermehrt seit dem 11. September 2001 auftraten, sollte entgegengewirkt werden.

Die Anwärmphase
Die Schulhausleitung, das Kollegium, der Elternrat und die schulhausinterne Arbeitsgruppe "Gewaltprävention, Integration und Gesundheit" sowie die Rektorate für den Religionsunterricht wurden mit dem klassenübergreifenden Projekt vernetzt.

  • Geplant wurde, acht Klassen des 6. und 7. Schuljahres während acht bis zwölf Lektionen (ein bis zwei Wochenstunden) im Rahmen des ökumenischen Religionsunterrichts im interkulturellen Team zu unterrichten. Klassengespräche, Frontal- und Werkstattunterricht sowie eine Exkursion wurden als Projektbestandteile festgelegt. Zum Abschluss sollte das Projekt via Fragebögen an die SchülerInnen evaluiert werden.
  • Der Dialog und rege Austausch stand in der Vorbereitungsphase im Mittelpunkt. Dies vor allem zwischen dem lehrenden Katecheten Lars Wolf-Plüss und der muslimischen Mutter und Mediatorin, Kadriye Koca: Es galt Inhalte und Ziele, den Ablaufplan zu besprechen, Worte zu finden, welche die Eigen- und Fremdwahrnehmung so fassen, dass der/die andere sie begreifen und nachvollziehen konnte; eine wichtige Voraussetzung für den späteren Dialog im Unterricht.
  • Über Kadriye Koca wurde Kontakt aufgenommen mit der Mescid (Stiftung Islamischer Glaubensgemeinschaft, Basel). Zudem wandte sich die Schule an die Inforel Basel (www.inforel.ch), eine Informationsstelle für den Austausch verschiedener Religionen.

Die Umsetzung
Eingebettet in den regulären Schulunterricht startete das Projekt. Dabei wurden die SchülerInnen zu Beginn nach ihrem Wissen über den Islam befragt. Vorurteile wie, der Islam sei mit Terrorismus gleichzusetzen, standen im Raum. Auch das Thema Diskriminierung (durch das Tragen des Kopftuches) kam rasch auf und wurde von Kadriye Koca aus eigener Erfahrung geschildert. Während der Unterrichtsstunden standen beide Lehrenden den SchülerInnen für Fragen zur Verfügung. Dabei kam es vor, dass die Lehrpersonen nicht die gleiche Ansicht zum Thema hatten. Dieses Nebeneinander war erwünscht und sollte das Gefühl dafür stärken, dass es auch unter Verschiedenen ganz normal ist, miteinander zu reden. Auseinandersetzung und Aushandeln waren von allen Beteiligten gefordert.

  • Unterricht
    Im Team wurden folgende Themen behandelt, deren Ergebnisse auf Plakaten festgehalten: Frieden: im Christentum/im Islam, Ton-Bild-Serie: "Muslime leben unter uns" / Regeln: im Strassenverkehr, im Schulhaus, in den Religionen, Gemeinsamkeiten und Sinn der diskutierten Regeln (Schutz des Einzelnen und der Gemeinschaft) / Die fünf Säulen des Islam: Familien- und Einzelidentität: Auf diese Grundregeln und Rituale wollen wir - zu Hause - nicht verzichten / Gebet: Was ist ein Gebet, Gebet und Koran, Gebet und Bibel / Die Frau im Islam: Ton-Bild-Serie "Muslima zu sein ist grossartig."

  • Aktionen
    Der Beginn des Irakkrieges stellt die Verantwortlichen vor die zusätzliche Aufgabe, gemeinsam zu differenzieren und den Kindern Hilfe zu bieten, keinen einseitigen Verallgemeinerungen und Feindbildern anheim zu fallen. Das Bedürfnis der SchülerInnen nach Raum für Aktionen zu diesem aktuellen Thema führte dazu, dass die Anregung eines muslimischen Mädchens und eines christlichen Jungen, eine spontane Friedensdemonstration am schulfreien Nachmittag zu starten, umgesetzt wurde. Hilfreich war auch die Einbettung des Projektes in eine Aktion der schulinternen Arbeitsgruppe "Gewaltprävention". Der Pausenhof des Brunnmatt-Schulhauses wurde als "Friedensplatz" eröffnet und den Kindern offiziell übergeben. In ihren Freiwahlfächern hatten diese bunte Fahnen und Wappen verschiedener Nationalitäten gestaltet, die neu den Pausenplatz zieren.

  • Islam-Werkstatt
    Gemeinsames Erleben stand in der Islam-Werkstatt im Vordergrund. Im eigenem Tempo konnten dort SchülerInnen selber gewählten Interessensschwerpunkten zum Christentum oder dem Islam nachgehen. Alleine oder in Kleingruppen durfte zu fünf aus 18 Themenangeboten gelesen, geschrieben, gebastelt oder gezeichnet werden. Im Angebot beispielsweise: Mit Legosteinen eine Kaaba (würfelförmiges, aus einem Raum bestehendes Steingebäude in Mekka) bauen, Bedeutung von Ramadan und Zakat, von Rosenkranz und Gebetskette entdecken etc.

  • Exkursion
    Besuch in der Mescid des Quartiers, die einige der SchülerInnen besuchen.

Die Kreativen
Zwei Personen verschiedener Religionszugehörigkeit oblag die Verantwortung. Acht Klassen machten mit. Die Mescid des Quartiers zeigte sich offen für das interkulturelle Projekt.

Die Adressaten
Es waren primär die SchülerInnen der Orientierungsschule und ihre Familien, welche das Projekt im Fokus hatte. Auch in LehrerInnenkreisen hinterliess das Projekt aber Eindruck. So wurde es im Rahmen einer Weiterbildung über den Islam für Lehrpersonen der Orientierungsschule besprochen. Lanciert durch die Mutter eines Schülers wurde das Projekt während einer LehrerInnenfortbildung der Primarlehrkräfte vorgestellt. Diese setzten sich daraufhin zum Ziel, den Dialog in den unteren Klassen in ähnlicher Weise zu eröffnen.

Die Bilanz
Ausnahmslos positiv haben die Klassen auf das Projekt reagiert. "Bei der Besprechung von Konflikten mit den Kindern und in der Mediation bei mir in den Sprechstunden, zeigt sich eine grössere Bereitschaft, den anderen als den Anderen wahrzunehmen und zu akzeptieren", stellt Projektleiter Wolf-Plüss fest. "Rassistische Bemerkungen und Gründe für einen Konflikt haben deutlich abgenommen." Vor allem die muslimischen Kinder, welche sich am Projekt beteiligten, fühlten sich, laut Evaluation, ernster genommen und verstandener. Einige von ihnen kamen sogar eigens in den Religionsunterricht, um am Projekt teilnehmen zu können. Manche muslimische Eltern allerdings untersagten die Teilnahme. Ansonsten kamen seitens der Eltern sehr positive Rückmeldungen. Es zeigte sich, dass das Thema auch in die Familien hineingetragen wurde. Nur ein Kind wurde aus religiösen Gründen für die Projektzeit vom Religionsunterricht entschuldigt. Sein Fernbleiben wurde im Unterricht thematisiert. Es blieb in regem Kontakt mit seinen SchulkollegInnen. Zwei weitere Kinder nahmen am Projekt teil, wurden aber vom Besuch der Mescid entschuldigt. Ob in der Werkstatt oder in den Gesprächsrunden, durch die dialogische Projektgestaltung entwickelte sich unter den SchülerInnen und mit den Lehrpersonen eine lebendige, achtungsvolle und offene Diskussion. Über die enge Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe "Gewaltprävention, Integration und Gesundheit" ist der interreligiöse Dialog zum festen Bestandteil der Schulhauskultur geworden. Geplant ist eine Erweiterung mit hinduistischen Eltern.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 11'342 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 11'700 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Projekt in Schulalltag integrieren, damit der Dialog nicht zu etwas Aussergewöhnlichem wird
  • Viel Zeit für SchülerInnenaktivitäten und Werkstattarbeit einplanen
  • Auch Kirchenbesuche ins Projekt integrieren
  • Frühzeitig Werbung für das Projekt bei muslimischen Eltern machen

Kontakt
Lars Wolf-Plüss, Orientierungsschule Brunnmatt, Ingelsteinweg 6, 4053 Basel, Telefon 061 361 23 80

 
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