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Berufsvorbereitendes Schuljahr Emmental, Langnau
Flüchtlinge sind auch Menschen
Wie fühlt man sich, wenn man aus seiner Heimat flüchten muss? Wie, wenn man in der Schweiz Asyl sucht? Was passiert auf einer Flucht und was geschieht mit den Menschen im "Gastland"? Fragen wie diese stellten sich acht Klassen des Berufsvorbereitenden Schuljahres Emmental in Langnau. Im Rahmen eines zweitägigen Solidaritäts-Projekts des Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) galt es, in Rollenspielen, Workshops und durch Erlebnisberichte das Thema "Flucht" begreiflich zu machen. "Wir hoffen, damit die Akzeptanz einer multikulturellen Schweiz zu verstärken", kommentiert Klassenlehrer Christoph Dürst.
Die Initialzündung
Man mag es eine schwierige Region für eine fruchtbare Verständigung mit Flüchtlingen und Asylbewerbern nennen. Man mag es als ländlich konservativ bezeichnen. Wie dem auch sei: Das Emmental ist eine Region mit geringem AusländerInnenanteil. Dementsprechend verbreitet ist die Reserviertheit gegenüber Fremden. Die Unsicherheit im Umgang mit anderen Nationalitäten ist gross und die Ablehnung der Schweizerischen Asylpolitik hoch. Vor diesem Hintergrund wollte man im Rahmen des freiwilligen 10. Schuljahres 150 SchülerInnen im Alter von 16 bis 17 Jahren zur differenzierten Mitsprache befähigen. Eingebettet in das Quartalsthema "Migration und Flucht" bot sich eine Zusammenarbeit mit der Schweizerische Flüchtlingshilfe an. Die SFH bietet seit 1999 in der Deutschschweiz ihr Projekt "Solidarität ist lernbar" zur Vorbeugung von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt an.

Die Ziele
Rassistische Parolen nachzuplappern ist einfach. Diskriminierendes Verhalten gegenüber Menschen in schwächerer Position nachzuahmen auch. Schwieriger ist es, sich verantwortungsvoll ein Bild des Gegenübers und dessen Situation zu machen, um danach zu einem eigenen Urteil zu kommen. Ein solch´ mündiges Verhalten wollten die Projektverantwortlichen durch sachliche Informationsvermittlung und persönliches Erleben bei ihren SchülerInnen erreichen. Um sie zu befähigen, auch in einem fremdenkritischen Umfeld Engagement zu zeigen und eine Diskussionskultur zu erlernen, welche auf Argumenten, nicht auf Emotionen beruht. Mit der zeitgleichen Behandlung des Themas in allen Klassen wollten die Lehrerschaft zudem ein "deutliches Zeichen gegen Rassismus und für Solidarität setzen", so Mitorganisator Christoph Dürst.

Die Anwärmphase
Der Kontaktaufnahme mit der SFH folgten verschiedene Vorarbeiten die erfüllt sein mussten, um das Gelingen der Projekttage sicher zu stellen. Von Seiten der SFH wurde das Konzept und das Animationsteam bereitgestellt. Die Schule musste an Vorbesprechungen teilnehmen und die Infrastruktur (Räume, technische Hilfsmittel) sichern. Zudem wurden die Medien informiert. Ausserdem:

  • Im Rahmen des Themenunterrichts wurde in allen acht Klassen das Thema "Flüchtlinge und Fremde bei uns" in den Wochen vor den Solitaritätstagen besprochen. Im Ermessen der zehn LehrerInnen lag es, mit welchen Aktivitäten sie ihre SchülerInnen für die Problematik sensibilisieren.
  • In jeder Klasse wurde einer der beiden einführenden Filme gezeigt und diskutiert: "Das Boot ist voll" oder "Reise der Hoffnung."
  • Anhand eines Fragebogen des SFH wurden die SchülerInnen direkt in die Vorbereitungsarbeiten des Animationsteams einbezogen
  • Der Grossteil der Klassen besuchte vor den Projekttagen eine Ausstellung der Sozialen Dienste Langnau mit dem Thema "Fremdsein im Emmental", welche im Rahmen des Internationalen Flüchtlingstages organisiert worden war. Nach einer fachlichen Einführung in die Ausstellung, vertiefte eine kommentierte Diashow das Thema, Fragen der SchülerInnen wurden beantwortet.
  • Am Vorabend der Projekttage wurde das Animationsteam von der Lehrerschaft zu einem gemeinsamen Nachtessen eingeladen. Langnauer AsylantInnen aus verschiedenen Kulturen kochten Spezialitäten aus ihrer Heimat.

Die Umsetzung
Mit einer kurzen Begrüssung und einer Einführung begannen die beiden Solidaritätstage. In Gruppen aufgeteilt durchliefen die SchülerInnen verschiedene Aktionsblöcke. Jeweils von 9 bis 11.50 Uhr und von 13.30 bis 16.45 Uhr wurde gemeinsam "Solidarität erlernt". So erlebten die SchülerInnen mit Hilfe von SchauspielerInnen "Stationen einer Flucht" als Rollenspiel, beispielsweise in einem improvisierten Flüchtlingscamp. Sie erfuhren die Wilkür von Beamten, wurden eingehüllt von Fremdsprachen, die auf sie einprasselten. Unterschwellige Antipathie und offenes Misstrauen schlugen Ihnen entgegen - sie wurden also in Situationen versetzt, mit denen Flüchtlinge fast überall zu kämpfen haben.

Im Workshop ging es um "Asyl in der Schweiz", dem beeindruckende Erlebnisberichte von eigens eingeladenen Flüchtlingen folgten. Ein Video mit anschliessendem Quiz, die Auswertungen der Rollenspiele und ein gemeinsamer Abschluss rundeten die Projekttage ab. Im Anschluss an diese Solitäritatstage wurden die Eindrücke und Erfahrungen mit den Schulklassen ausgewertet. Die SchülerInnen verfassten dabei persönliche Einträge in ihre Tagebücher. Die LehrerInnen schlossen das Rahmenthema nach ihren Möglichkeiten und nach den Bedürfnissen der jeweiligen Klassen ab. Zwei Zeitungen und das Lokalradio berichteten über die Schulaktion.

Die Kreativen
Etwa zehn Lehrkräfte beteiligten sich aktiv an der Vor-und Nachbereitung der Projekttage für 150 SchülerInnen aus acht Klassen. Von der SFH waren sechs bis acht MitarbeiterInnen im Einsatz. Die schulische Projektverantwortung wurde von zwei Personen getragen. Flüchtlinge berichteten von ihren Erfahrungen, Langnauer Asylantinnen kochten für das Animationsteam.

Die Adressaten
Vor allem sollten die SchülerInnen durch das Projekt erreicht werden und über sie andere Gleichaltrige der Region. Über das junge Zielpublikum sollte auch der Gedankenaustausch mit erwachsenen Bezugspersonen angeregt werden. Letzteres dürfte auch durch die Medienberichterstattung erreicht worden sein. Auch Lehrkräfte der im gleichen Haus angesiedelten anderen Schulen nahmen die Aktivitäten mit Interesse auf.

Die Bilanz
"Wir hoffen, dass es uns gelungen ist, dank dem Projekt des SFH die Jugendlichen auf ihrem Weg zu solidarischen, sozial engagierten und weltoffenen StaatsbürgerInnen zu begleiten", so Christoph Dürst. Positive Rückmeldungen und Reaktionen der Jugendlichen in den Tagebüchern sprechen dafür. Besondere Stärken des Projekts waren die altersgerechte Umsetzung des Thematik, welche ein grosses Engagement der SchülerInnen motivierte. Gezeigt hat sich, dass auch männliche Jugendliche überraschend offen auf die Rollenspiele eingingen. Die SchülerInnen stellten am eigenen Leib fest, wie allein schon durch äussere Umstände und die harsche Behandlung durch Behörden, Frustrationen und Aggressionen entstehen können. Die direkte Begegnung mit Flüchtlingen und die Erkenntnis, dass diese vor allem eines, Menschen, sind, hat Diskussionen angeregt, Solidarität hervorgerufen und das Bewusstsein gefördert. Sinnvoll waren auch die gründlichen Vor- und Nachbereitungsblöcke, die eine spezifisch auf die Interessen- und Informationslage der SchülerInnen zugeschneiderte Erarbeitung zuliessen.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 2'500 Franken
  • Beitrag SchülerInnen: 1'000 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 1'500 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Die Lehrerschaft muss in das Projekt eingebunden werden
  • Vor- und Nachbereitung müssen Pflicht sein, um Nachhaltigkeit zu garantieren.

Kontakt
Christoph Dürst, Berufsvorbereitendes Schuljahr Emmental, Langnau (BVS Langnau), Bleicheweg 11, 3550 Langnau, Telefon 034 403 14 16

 
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