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Schule von Plan-les-Ouates, Primarstufe
El Guateque: ein kubanisches Märchen zur Prävention von Rassismus
"Ohne die Kleinen geht es nicht" - dies veranschaulicht das kubanische Volksmärchen El Guateque (Das Fest). In Plan-les Ouates setzten zwei Schulklassen eine Theateradaption dieser kleinen sinnbildlichen Geschichte um – mit Musik, Liedern, Kostümen und Tänzen: Nach getaner Arbeit festen die kubanischen Bauern fürs Leben gern, und auch die Musikinstrumente wollen nach Feierabend ihre jeweiligen Vorzüge vergleichen. Die grössten und lautesten scheinen zwar auch die stärksten zu sein, doch werden die kleinen Instrumente ausgeschlossen, geht gar nichts mehr. – Gemäss Eliane Longet, Lehrerin und eine der Initiantinnen dieses Projekts, versetzt eine solche Aufführung die Kinder in eine konkurrenzfreie Situation. Sie blühen auf dabei. Die Metapher macht auf wirkungsvolle Weise bewusst, was Ausgeschlossensein, körperliche oder verbale Gewalt und Rassismus wirklich bedeuten.

 

Die Initialzündung
Entstanden ist die Idee in Gesprächen zwischen Eliane Longet, Lehrerin in Plan-les Ouates, und Tania Nerfin, einer Künstlerin mit kubanischen Wurzeln, die bereits in Chamoson VS eine grosse Theateraufführung mit SchülerInnen inszeniert hatte. Ausserdem arbeitet sie mit Kindern im Rahmen der "Ateliers d'ethnomusicologie" in Genf. Kurz darauf wurde das kubanische Märchen ausgewählt, um Kinder und Jugendliche für Fragen des Rassismus, der Gewalt und des Ausgeschlossenseins zu sensibilisieren. Damit liessen sich für die Neun- und Zehnjährigen der 3. und 4. Primarklasse Pädagogik, Kunst und Spass auf einfache Art kombinieren. "Wir kennen hier keine besonderen Probleme von Rassismus unter den Kindern", erklärt Eliane Longet. "Doch wie überall gehen die Kinder nicht gerade zärtlich miteinander um. Und manchmal führt das Anderssein zu Ausschlussverhalten." Das Märchen in Kürze: Auf Grund ihrer Grösse werden die Claves, zwei kleine Holzstöcke, von den Instrumenten eines grossen Orchesters mit Ablehnung bedacht. Eines Tages verschwinden sie während einer Aufführung, und das hat böse Folgen! Allen wird bewusst, dass sie der ganzen Gruppe den Rhythmus vorgegeben hatten. Und ohne sie läuft nichts mehr rund. In der Schule wie im täglichen Leben gehören Ausschluss, Diskriminierung, Ablehnung und Vorurteile zu den gängigen Verhaltensweisen.

Die Ziele
Es geht darum, den Kindern beizubringen, wie sich Ausschlussverhalten und Situationen der Diskriminierung und der Gewalt in ihrem Leben und in der Gesellschaft erkennen lassen, und ihnen zu zeigen, wie sie in solchen Lagen reagieren können. Angestrebt wird die Entwicklung von Sozialkompetenz in Bezug auf Respekt, Zuhören, gegenseitige Unterstützung, Ergreifen von Initiativen, oder ganz allgemein ein besseres " miteinander leben". Die Theater spielenden Kinder sollen insbesondere mit einer fremden Kultur und Musik und mit andern Werten vertraut gemacht werden. Es gilt, sie zu ermutigen, diese Unterschiede zu respektieren und zu nutzen, um ihre Neugier und ihre Entdeckungslust zu stillen. Für die Klassen im Zuschauerraum eignet sich das Thema für Diskussionen und zahlreiche Aktivitäten im pädagogischen und expressiven Bereich.

Die Anwärmphase
Die Erarbeitung erfolgte innerhalb von sieben Wochen, die Aufführungen fanden während einer Woche statt, das Ganze dauerte vom 28. April bis zum 8. Juni 2003.

  • Künstlerische Aspekte
    Mit der Erarbeitung der Lieder und Tänze, dem Redigieren und Vortragen von Texten, dem Anfertigen der Kostüme und des Bühnenbildes waren 43 Kinder der 3. und 4. Klasse sowie fünf Erwachsene beschäftigt. Die beiden Klassen wurden in vier Gruppen von kleinen SchauspielerInnen aufgeteilt. In den ersten Wochen arbeitete die künstlerische Begleiterin jeweils mit jeder Gruppe einen halben Tag lang. Doch angesichts der umfassenden Aufgabe mussten in der letzten Woche vor den Vorstellungen sämtliche Beteiligten vollumfänglich mobilisiert werden. "Weder SchülerInnen noch Eltern haben je danach gefragt, wann wir denn eigentlich Französisch oder Rechnen unterrichteten", erinnert sich Eliane Longet.
    Die Kinder lernten Lieder in Spanisch und in Arara, einer beinahe erloschenen afrikanischen Sprache. Natürlich sprach bloss eine verschwindende Minderheit Spanisch, und von Arara hatte überhaupt niemand eine Ahnung. Die Musiklehrerin Anne Marbacher achtete ganz besonders auf die unterschiedliche Umsetzung, da die Kinder ja quasi blind lernen mussten. Sie meint dazu: "Mit dem Erlernen der Tradition der mündlichen Überlieferung prägten sich die Lieder tief ins Gedächtnis der Kinder ein. Die Worte bekamen dadurch ein körperliches Fundament, was die Stimmen warm und klangvoll machte."

  • Die pädagogischen Aspekte
    Um die Verhaltensänderungen bei gewissen Kindern zu beschreiben, erwähnt die Projektleiterin gerne einen besonderen Fall. "Ein kleiner Junge, üblicherweise ein ziemlicher Unruhestifter und Wichtigtuer, der an regelmässige disziplinarische Zurechtweisungen gewöhnt und vielleicht auch recht unsicher war, erhielt eine besondere Rolle im Stück. Nach dieser Steigerung seines Selbstwertgefühls war sein Verhalten mustergültig." Es seien Talente entdeckt worden, und für die Kinder sei dies eine fruchtbare Zeit gewesen, fasst Eliane Longet zusammen. Hinzu kommt das Überwinden von Vorurteilen: Einige Kinder seien zu Beginn wohl enttäuscht gewesen, die Rolle von kubanischen Bauern übernehmen zu müssen, was in ihren Augen eine negative Konnotation hatte. Im Verlaufe der Arbeit aber hätten sie die Rolle als etwas Positives verstanden und angenommen.

    • In den Klassen erfolgten Diskussionen zu Fragen wie: Erleben die SchülerInnen Situationen des Ausgeschlossenseins, der Diskriminierung, der Gewalt und von Rassismus in der Schule oder anderswo? Werden sie Zeugen davon? Zu was führt der Ausschluss im Theaterstück? Wie drückt sich Gewalt gegenüber kleinen Instrumenten aus? Wie haben diese reagiert? Und wie reagieren Kinder auf Ablehnung? Was empfinden sie dabei? "Es ist sehr interessant, mit Kindern einen Dialog über all diese Fragen zu führen und Situationen der Gewalt, des Andersseins, des Ausgeschlossenwerdens mit Worten zu umschreiben", meint Eliane Longet. "Eine derartige Arbeit sollte sich übrigens nicht auf ein Projekt beschränken, sondern Teil des Schulprogramms sein."

    • Als Begleitung dieser gemeinsamen Überlegungen lasen die LehrerInnen den Kindern Zitate von Martin Luther King vor. Die SchülerInnen lernten die wichtigen Phasen seines Lebens kennen und konnten sich mit der Sprache und den Methoden der Gewaltlosigkeit in einem allgemein rassistischen Kontext vertraut machen.

    • Jedes Kind hatte auch Gelegenheit, in Form von Hausaufgaben zu all diesen Fragen Nachforschungen und Überlegungen anzustellen und in seiner Familie darüber zu diskutieren. Die einzelnen Ideen wurden dann gemeinsam in der Klasse besprochen. Zudem liess sich auch ein Bezug zur Aktualität herstellen: zum Irak-Krieg, zum G8, zum Tod eines Jugendlichen nach einer Schlägerei beim Bahnhof Yverdon VD usw.

    • Die Vorbereitung von Texten und Zeichnungen für eine Ausstellung über kubanische Kultur gab ebenfalls Anlass zu vielfältigen Überlegungen.

Die Umsetzung
In der ersten Juniwoche 2003 fanden sieben Vorstellungen statt. Insgesamt nahmen rund 1'000 Personen daran teil, darunter 34 Klassen mit Kindern von vier bis zwölf Jahren. Beim Eingang zum Theatersaal der Gemeinde Plan-les-Ouates wurde eine kleine Ausstellung gezeigt: Fotos von verschiedenen Aspekten der kubanischen Kultur, Texte und Zeichnungen zu Themen wie gegenseitiger Respekt, Andersartigkeit, Ausgeschlossensein und Gewalt. Die Theater spielenden Kinder waren während der Vorführungen äusserst präsent und reagierten schnell. Sie schlüpften perfekt in ihre Rolle, drückten sich klar aus und wurden vom Publikum sehr gut verstanden. Sie teilten ihre Freude den Zuschauenden mit. Bei jeder der Vorstellungen waren rund 160 Kinder dabei und hörten sehr aufmerksam zu. Das beweist, dass "El Guateque" mehrere Verständnisebenen aufweist und Themen behandelt, die verschiedene Altersstufen ansprechen. Die LehrerInnen stellten fest, dass die Kleineren am stärksten auf den Ausschluss der kleinen Instrumente reagierten und einen direkten Bezug zu ihren eigenen Erfahrungen herstellten, während die Grösseren viel eher extrapolierten. Gewisse Lehrpersonen waren verblüfft, wie gut ihre SchülerInnen die Problematik in Zusammenhang mit dem Ausgeschlossensein erfassten.

    • Fragebogen: Die für das Projekt zuständigen Lehrkräfte erstellten nachträglich einen Fragebogen für einen Teil der Klassen, die am Theater teilgenommen hatten. Die Antworten zeigen, dass eine Aufarbeitung der entsprechenden Reaktionen erforderlich ist.

Die Kreativen
43 Kinder der 3. und der 4. Primarklasse. Fünf Erwachsene: drei KlassenlehrerInnen, eine Musiklehrerin und eine externe Person kubanischer Herkunft für die künstlerische Begleitung. Punktuelle Unterstützung durch die Fondation Education et Développement de Lausanne: Bereitstellung von pädagogischem Material, Diskussionsrunden.

Die Adressaten
In erster Linie die 3. und die 4. Primarklasse, die das Theater erarbeitet hatten, sowie sämtliche Schulklassen der Gemeinde (Vier- bis Zwölfjährige). Sodann die Familien der SchülerInnen und die Behörden der Gemeinde, die den Theatersaal zur Verfügung stellte.

Die Bilanz
Unbestritten positiv, sowohl für die Kinder wie für die sie begleitenden Erwachsenen. Ein derartiger Anlass ist ein wichtiges Ereignis in einem Schuljahr. Für die Kinder ist es eine intensive Erfahrung (Druck, Ermüdung, Lampenfieber usw.), die jedoch auch Talente und Sozialkompetenzen zu Tage bringt und die Kinder in ihren eigenen Augen und aus der Sicht ihrer Umgebung aufwertet. Die farbigen Kinder fühlten sich sehr betroffen und während des gesamten Arbeitsprozesses bestätigt. Noch eine kleine Episode: Das Schlusslied im Stück "Petit et grand, noir et blanc, et tous égaux" (Klein und Gross, Schwarz und Weiss, und alle gleich) wurde vom Publikum aufgenommen, blieb im Ohr der Zuschauer hängen und wurde später in den Familien weitergesungen.

Die Finanzen

  • Ausgaben: 9'173 Franken
  • Einnahmen:12'250 Franken, davon:
    • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 5'250 Franken
    • Fonds genevois de prévention de la violence: 7'000 Franken
  • Der Saldo des Fonds genevois von 3067 Franken wird in Übereinstimmung mit den Geldgebern für ein ähnliches Projekt verwendet.

Noch ein paar Tipps

  • Es ist sehr positiv, die kubanische Kultur im Theater mit Liedern, Rhythmen, Melodien, Texten und Bewegung an Stelle von Erklärungen und Beschreibungen zu veranschaulichen. Dadurch lassen sich Überzeichnungen vermeiden.

  • Die Zeit, die ein solches Projekt sowohl von den Kindern wie vom Betreuungsteam ausserhalb des Unterrichts erfordert, ist enorm. Die Arbeit muss früh im Jahr angegangen werden, und es muss Zeit zwischen den einzelnen Interventionen der Kunstschaffenden vorhanden sein. Diese Zeitspannen können für vermehrte pädagogische Arbeit in Bezug auf den Inhalt der Theatervorstellung und für Sensibilisierungsaktivitäten genutzt werden.

Kontakt
Eliane Longet, enseignante 3P, 90b Chemin des Verjus, 1212 Grand-Lancy, Telefon 022 794 67 76

 
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