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Diplommittelschule Thun, Seefeld
Keine Angst vor Fremdem
"Echt ist es sicher noch tausendmal schlimmer", zeigte sich eine Schülerin der Thuner Diplommittelschule entsetzt. Gemeinsam mit ihren Klassengspännli erlebte sie innerhalb einer Spezialwoche der Schule zum Thema "Wir und die anderen" mit, was es bedeutet, auf der Flucht zu sein. Die 18jährigen SchülerInnen setzten sich mit verschiedenen Religionen und dem Schweizer Asylwesen auseinander. Sie wagten den Schritt einer direkten Begegnung mit AsylbewerberInnen und nahmen Kontakt mit anderen Menschen auf, die in unserer Gesellschaft in irgend einer Form Ausgrenzung erfahren. Ein Wen Do-Kurs stärkte zudem das Selbstvertrauen der jungen Frauen.

 

Die Initialzündung
Die Spezialwoche an der Thuner Diplommittelschule war eine Wiederholung. Und doch gestaltete sich dieses Projekt etwas anders als das des Vorjahres. Grund: Auf ersten Erfahrungen konnte aufgebaut werden. Ausgehende vom Wissen, dass die SchülerInnen einer Mittelschule in der Regel wenig Kenntnisse über Asylwesen, über andere Religionen oder das Leben von Asylbewerber/innen haben, initiierten die Projektleiterin erstmals eine Spezial- und Begegnungswoche zum Thema "Wir und die anderen". Sie stiess auf grossen Widerstand, vor allem seitens der Schülerinnen. Schlechte Erfahrungen mit männlichen Asylbewerbern gaben die SchülerInnen primär als Gründe an. "Meine langwierige Aufgabe war es, den Widerstand eines grossen Teils der SchülerInnen abzubauen, damit einige Inhalte ohne Opposition und in einem vorurteilsfreien Rahmen ausgebreitet werden konnten", schrieb Projektleiterin Verena Amrein in ihrem Schlussbericht. Der gelungene Kompromiss.: Am letzten Tag der Spezialwoche konnten sich die SchülerInnen nach Gusto mit dem Thema "Wir uns die anderen" befassen. Möglich war dabei auch die Beschäftigung mit mottofremden Berufen wie u.a. Musikproduzent, Krankenschwester oder Regisseur.
Die Wirkung: Die nun durchgeführte zweite Spezialwoche mit deutlichem Fokus auf das Thema Rassismus und Menschenrechte, fand guten Anklang, die ehemaligen Barrieren schienen abgebaut.

Die Ziele
Fremdes macht vielen Menschen Angst. Angst kreiert Abwehr. Diese äussert sich oft in Form von Vorurteilen und diskriminierenden Verhalten. Um selbständig entscheiden zu können, wo rassistische Vorurteile Wahrnehmungen verzerren, um auf fremde Menschen offen zugehen zu können, bedarf es einer starken Persönlichkeit. Zur Persönlichkeitsentwicklung ihrer SchülerInnen wollten die Verantwortlichen mit der Projektwoche beitragen. Denn die zweijährige Schule bereitet ihre AbsolventInnen auf Berufe im Gesundheitswesen und in erzieherischen Bereichen vor. Dort ist das Zusammentreffen mit Fremden programmiert. Informationen über das Asylwesen, über Fluchtgründe, fremde Kulturen und das Erleben der Lebensbedingungen von Asylbewerbern, von Behinderten, Pflegebedürftigen etc. sollten dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und Kontakte zu erleichtern. Wichtig: Sich der eigenen Vorbehalte und Aggressionen gegenüber Fremdem bewusst zu werden.

Die Anwärmphase
Klar war von Beginn an, dass nicht die bekannten Fachlehrkräfte der Schule die Projektwoche abhalten sollten, sondern externe Fachpersonen. Daher nahm die Schule (wie schon im Vorjahr) Kontakt mit folgenden Stellen auf:

  • Schweizerische Flüchtlingshilfe (Thema Flucht, Konzept Solidarität ist lernbar)
  • Gemeinschaft Christen und Muslime Schweiz (Referat)
  • Buddhistisches Zentrum Bern (Referat)
  • Flüchtlingswesen der Stadt Thun (Begegnungsnachmittag mit Asylbewerbern)
  • Verein Wen Do, Bern (Wen Do-Kurs für Frauen)
  • Bundesamt für Flüchtlinge und Stiftung Bildung und Entwicklung, Bern, (Referat, Videos, Broschüren, Finanzen)

Zwei LehrerInnen übernahmen die schulische Projektverantwortung und -koordination.

Die Umsetzung
Drei Schwerpunkte umfasste die Projektwoche: die Auseinandersetzung mit Menschen aus fremden Kulturen und Religionen, die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Aggressionen und schliesslich die Begegnung mit Fremdem als persönlich gewähltes Thema.

Konkret gestaltete sich die Woche folgendermassen:

  • Einen ganzen Tag verbrachten die SchülerInnen mit dem Projekt der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zum Thema Flucht (siehe auch Projekt des Berufsvorbereitenden Schuljahres Emmental, Langnau). Hier erlebten sie im Rollenspiel Stationen einer Flucht mit all den Ängsten, Hilflosigkeiten und Aggressionen der Flüchtlinge. Sie erfuhren Wissenswertes über das Schweizer Asylwesen, konnten Fragen stellen und lauschten Berichten von eingeladenen Flüchtlingen. Während dieses Projektteils setzten sich die SchülerInnen besonders damit auseinander, mit Gewalt und Aggressionen umzugehen.

  • Während der nächsten drei Tage wechselten sich Referate zum Islam und Buddhismus ab. Beim Begegnungsnachmittag mit AsylbewerberInnen auf dem Schulareal wurde gemeinsam gekocht, erzählt und gespielt. Der Selbstverteidigungs-Kurs Wen Do, der lediglich für Frauen angeboten wurde, sollte das Selbstvertrauen der Mädchen auch in allfällig schwierigen Situationen mit Männern stärken. Die drei männlichen SchülerInnen besuchten eine Klasse für Fremdsprachige in Bern-Bümpliz und nahmen an einer Gesprächsgruppe zum Thema "Eigene und fremde Aggressionen" teil.

  • Der letzte Tag der Projektwoche war der individuellen Gestaltung durch die SchülerInnen vorbehalten. Thema: "Begegnung mit Fremden", Fokus:die Behandlung von Menschen im Sinne der Menschenrechte. Hier besuchten die Hälfte der SchülerInnen ein Durchgangszentrum für AsylbewerberInnen. Andere statteten Institutionen für Behinderte, Pflegebedürftige, schwierige Kinder und AusländerInnen Besuche ab und setzten sich mit deren jeweiligen Lebenssituationen auseinander.

  • Zudem wurde der Film "Scheidung auf Iranisch" gezeigt, wurden die Projekte anhand einer Ausstellung präsentiert.

Mit der Projektwoche sollte die Beschäftigung mit dem Thema allerdings nicht enden. Die Flüchtlings- und Asylthematik wurde daher im Fachunterricht Wirtschaft, Staats- und Gesellschaftskunde weitergeführt und zum Diplomprüfungsthema gemacht. Ausserdem wurde anhand eines Rückmeldebogens überprüft, ob sie gesteckten Ziele erreicht werden konnten.

Die Kreativen
Zwei LehrerInnen der Diplommittelschule hielten die Fäden für die Projektwoche in Händen. Engagiert waren die SchülerInnen der Abschlussklasse beteiligt. Ferner VertreterInnen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des Bundesamtes für Flüchtlinge, des Buddhistischen Zentrums Bern, AsylbewerberInnen, eine Leiterin des Wen Do-Kurses.

Die Adressaten
Vor allem die SchülerInnen der Abschlussklasse, welche in ihre neuen Berufswelten entlassen wurden, standen im Mittelpunkt der Projektwoche. Da das Thuner Tagblatt über die Projektwoche berichtete, konnte auch die Öffentlichkeit adressiert werden. Projektinformationen wurden zudem an andere Schulen weitergegeben.

Die Bilanz
Sehr ausgewogen, abwechslungsreich und lehrreich, so die Bilanz in Thun. Sowohl der Rückmeldebögen der Schüler/innen, als auch die sich an die Projektwoche anschliessenden Gespräche zwischen Lehrerschaft und SchülerInnen zeigten denselben Tenor. Besonders die Rollenspiele, der Begegnungsnachmittag und der Wen Do-Kurs erschütterten und stärkten die SchülerInnen gleichermassen. "Ganz klar, Vorurteile gegenüber AsylbewerberInnen und allgemein gegenüber AusländerInnen konnten abgebaut werden", so Projektleiterin Ursula Büchi. Und: "Die Informationen gaben viele Denkanstösse und ermöglichten eine differenzierte Meinungsbildung. Das Interesse für fremde Kulturen und Religionen wurde gestärkt". Der Wen Do-Kurs konnte das Selbstvertrauen der jungen Frauen aufbauen, so dass allfällige Ängste gegenüber Männern ausländischer Herkunft keine unüberwindbare Schwellen mehr darstellen. Als Stärke des Projekts hoben die Verantwortlichen zudem hervor, dass das Thema nicht nur intellektuell, sondern auch auf der Gefühls- und Handlungsebene vermittelt wurde.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 3'590 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 4'000 Franken
  • Der verbleibende Überschuss wird in ein Nachfolgeprojekt investiert.

Noch ein paar Tipps

  • Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen bewährt sich
  • Unbedingt persönliche Begegnungen in das Projekt integrieren
  • Raum für Eigeninitiative der SchülerInnen lassen, um Motivation zu erhöhen

Kontakt
Ursula Büchi, Diplommittelschule Thun, Äussere Ringstrasse 7, 3600 Thun, Telefon 031 372 95 84

 
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