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Neue Kantonsschule Aarau
Reden über Geschichte und dann aus ihr lernen
Sechs Wochen lang gastierte die Wanderausstellung „Der Bergierbericht“ in der Mediothek der Neuen Kantonsschule Aargau. Begleitend dazu organisierten SchülerInnen und LehrerInnen gemeinsam ein anspruchsvolles Rahmenprogramm rund um das brisante Thema der jüngeren Geschichte, „Die Schweiz im 2. Weltkrieg“. Mit einer Vernissage, Vorträgen und einer Podiumsdiskussion wurden Gespräche angeregt, Zusammenhänge aufgezeigt und die Reflexion über aktuelle Themen ermöglicht. “Dieses Projekt löste vielen Schülern und SchülerInnen die Zunge und sie begannen, über ihre eigenen Familiengeschichten zu reden“, resümiert Geschichtslehrer Beat Hodler erfreut.
Die Initialzündung
Das Angebot wurde kurzfristig an die Neue Kantonsschule herangetragen, und deren Schulleitung und Geschichte-Fachschaft überlegten nicht lange: Sie öffneten die Türen ihrer Mediothek für die Wanderausstellung „Der Bergierbericht“. Die Gründe: Schon einige Zeit zuvor war die Zusammenfassung des Bergier-Schlussberichts innerhalb der Fachschaft Geschichte gelesen und diskutiert worden. Einige LehrerInnen hatten sich darüber hinaus bereits eingehend im Rahmen früherer Forschungstätigkeiten (Martin Kloter) und einer Impulswoche an der Schule mit dem Thema befasst. Dabei hatte die Lehrerschaft das grosse Interesse der Jugendlichen an der Frage nach der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg gespürt. Die Neue Kantonsschule bietet den MAR-Maturitätslehrgang sowie eine dreijährige Diplommittelschule an und die Familien vieler ihre SchülerInnen haben ihre Wurzeln in den unterschiedlichsten Ländern. Vor diesem Hintergrund versprach die Auseinandersetzung mit diesen historischen Zusammenhängen besonders spannend zu werden.

Die Ziele
„Sinn der Ausstellung ist es nicht, die Aktivdienstgeneration zu verunglimpfen oder ein Urteil zu fällen, sondern für Diskussionsstoff zu sorgen.“ Das sagte Myrtha Welti, Generalsekretärin der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg (UEK) bei der Vernissage der Wanderausstellung an der Neuen Kantonsschule Aarau. Und umriss damit auch die Ziele der Organisatoren seitens der Schule. BesucherInnen der Ausstellung und des Rahmenprogramms sollten zu einer eigenständigen und fundierten Auseinandersetzung mit der Thematik angeregt werden. Was können wir aus der schweizerischen Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkrieges lernen? Wie objektiv kann Geschichtsschreibung sein? Wie entsteht und vergeht öffentliches Interesse an einem Thema? Solche grundsätzlichen Fragen sollten besonders auch im Zentrum der schulischen Diskussion stehen; nicht zuletzt, um aufzuklären, weshalb in der Schweiz nach wie vor über den Umgang mit der Vergangenheit gestritten wird und um die Wahrnehmung für Verletzungen von Grund- und Menschenrechten zu schärfen. Ein weiteres Ziel der Schule war es, die Schülerschaft in jedes Stadium der Projektorganisation zu integrieren oder wenigstens darüber zu informieren sowie möglichst interdisziplinär zu arbeiten, um eine starke Identifikation mit dem Projekt und seinen Inhalten zu erreichen.

Die Anwärmphase
Im Frühjahr 2002 wurde die Bergierbericht-Ausstellung von der UEK und dem Berner Politforum Käfigturm konzipiert. Damit die Wanderausstellung von der Kantonsschule übernommen werden konnte, musste zwischen diesem Forum und der Neuen Kantonsschule eine Leistungsverpflichtung vereinbart werden. Die Schule gewährleistete dabei die Aufsicht und die Anwesenheit einer Auskunftsperson während der Öffnungszeiten der Ausstellung. Zudem übernahm sie die Öffentlichkeitsarbeit inklusive den Versand von Infomaterial sowie die Organisation eines Rahmenprogramms. Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können galt es, vorhandene Ressourcen zu sichten, Aufgaben zu konzipieren, zu verteilen und dabei weder SchülerInnen, noch externe Freiwillige oder Schulinstanzen zu überfahren. Schliesslich bedeutet eine solche Ausstellung zu betreuen viel Zusatzarbeit unter Zeitdruck.

  • Informiert und um Mithilfe gebeten werden mussten die Schulleitung, Mediothekaren, Sekretärinnen, der PR-Verantwortliche, der Webmaster, die Hauswarte, das Lehrerkollegium, die Schülerschaft. Zudem wurden freiwillige HelferInnen und SponsorInnen gesucht, Medien- und Referentenlisten erstellt.

  • Geschichtslehrkräfte, welche bei Bedarf externe SchülerInnengruppen durch die Ausstellung führen sollten, wurden durch eine Mitarbeiterin des Politforums vorbereitet.

  • Festgelegt wurde im Übrigen, dass SchülerInnen, welche freiwillige Arbeit für die Ausstellung leisten, eine symbolische Entschädigung erhalten sollten

Die Umsetzung
In Zusammenarbeit mit dem Politforum und einer Innenarchitektin /Szenografin wurde die Ausstellung den räumlichen Gegebenheiten der Schule angepasst. Jeweils von Montag bis Samstag, 10 bis 17 Uhr, war sie während sechs Wochen in der Mediothek zu sehen. Eine SchülerInnengruppe hatte unter pädagogischer Leitung (Stephan Näf) einen Flyer, Plakate und den Internet-Auftritt zur Ausstellung erarbeitet, um die Öffentlichkeitsarbeit zu erleichtern.

  • Rahmenprogramm: Neben der Vernissage, bei der Myrtha Welti, Generalsekretärin UEK, sprach, organisierten LehrerInnen und SchülerInnen auch eine öffentliche Führung mit UEK-Mitarbeiter Dr. Peter Hug. Zudem lud die Schule zur Podiumsdiskussion mit Fachleuten und Zeitzeugen ein, geleitet von einem Journalisten. Diese Veranstaltung wurde von einer grossen Anzahl von Rechtsextremisten besucht, welche sich deutlich zu Wort meldeten.

  • Schüler: Um die Ausstellungsbesuche so interessant als möglich zu gestalten, vernetzten sich manche LehrerInnen. So gab es Führungen auf Französisch oder solche unter der Leitung der Fachlehrer für Geschichte sowie Wirtschaft/Recht. Ziel der Schule war es gewesen, die Schülerschaft möglichst breit einzubeziehen. So näherten sich die SchülerInnen den Ausstellungsinhalten im Rahmen des Grundlagenfachs Geschichte (2 Wochenstunden). Bei der Vernissage legte die Lehrerschaft Wert darauf, dass VertreterInnen der Schülerorganisation zugegen waren. Auch für die Medien fungierten unter anderen SchülerInnen als AnsprechpartnerInnen.

  • Dokumentation: Zum Projektabschluss wurde ein Pressespiegel angelegt und ein Abschlussbericht verfasst.

Die Kreativen
Alle unter Kapitel „Anwärmphase“ genannten Instanzen beteiligten sich. Die Projektleitung seitens der Schule übernahm Beat Hodler (Fachschaft Geschichte). Sechs weitere Lehrkräfte derselben Fachschaft wirkten an der Vorbereitung und Umsetzung mit. Die Historische Gesellschaft des Kantons Aargau konnte für den externen Versand von Infomaterial gewonnen werden. Angehörige der Fachschaft Geschichte halfen zusätzlich bei der Planung, Organisation, Ausstellungs-Aufsicht und der Öffentlichkeitsarbeit mit. Vier Maturanden unterstützten das Projekt selbst während der Herbstferien als Auskunfts- und Aufsichtspersonen. Zehn ReferentInnen wirkten im Rahmenprogramm mit.

Die Adressaten
Die meisten Schulklassen der Neuen Kantonsschule besuchten die Ausstellung. Über die Schule hinaus erlebte die Ausstellung viel Interesse. Kursgruppen der Aargauischen Maturitätsschule für Erwachsene, Einzelpersonen sowie Klassen der Alten Kantonsschule Aarau und Bezirksschulklassen waren zu Gast. Über Zeitungs- und Radioberichte erreichte die Ausstellung die breitere Öffentlichkeit. Insgesamt fanden rund 1'000 Personen den Weg in die Mediothek.

Die Bilanz
Sehr positiv, so lautet die Bilanz, welche Projektleiter Beat Hodler hinsichtlich des Ausstellungsprojektes zieht. Und dies aus mehreren Gründen:

  • Lehrerschaft: Die Fachschaft Geschichte wurde durch das Projekt nicht nur inhaltlich sondern auch auf methodischer Ebene bereichert. Die Zusammenarbeit wurde gestärkt. Auch Lehrkräfte anderer Fachbereiche beschäftigten sich intensiv mit den Inhalten. Grundsätzliche Fragen, welche in der Ausstellung transportiert wurden – die Differenz zwischen Wissen und Handeln, das Ausnutzen gesellschaftlicher Spielräume durch Individuen, die mehr oder weniger Zivilcourage haben - fanden Eingang in den Unterricht.

  • Schülerschaft: “Gerade die Erkenntnis, dass der Bergier-Bericht starke Emotionen auslöst, scheint das Interesse der Jugendlichen an der Sache eher zu verstärken“, so Projektleiter Beat Hodler. Und: „Besonders erfreulich war, dass das Projekt zahlreichen Jugendlichen an unserer Schule die Zunge löste.“ Will sagen: Es kam zu anregenden und angeregten Diskussionen, in deren Rahmen die SchülerInnen eigene Familiengeschichten in Bezug zu den Aussagen der UEK setzten. Eine Schülerin, die bisher am Fach Geschichte wenig Interesse hatte, begann beispielsweise während der Ausstellungsführung von ihrem jüdischen Grossvater zu erzählen.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 14'615 Franken;
    • davon Personal 9'250 Franken
    • davon Sachausgaben 4'262 Franken
  • :Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 10'000 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Rahmenprogramm frühzeitig planen, denn die Gestaltung eines Flyers, das Einladen der Medien, die Suche nach geeigneten ReferentInnen kostet Zeit.
  • Wichtige Interessensgruppen und Einzelpersonen schriftlich zur Vernissage einladen.
  • Ein solches Projekt sollte klassen- und fachschaftsübergreifend organisiert werden.
  • Wichtig ist es, darauf vorbereitet zu sein, dass das Thema Kontroversen auslösen kann und dass bei öffentlichen Veranstaltungen auch mit Störungen gerechnet werden muss.

Kontakt
Dr. Beat Hodler, Neue Kantonsschule Aarau, Schanzmättelistrasse 32, 5000 Aarau, Telefon: 062 849 77 60, www.nksa.ch

 
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