Übersicht
Schulhaus Grünau, Zürich
Schwarz oder Weiss, was macht das schon
"Etwas sehr Wichtiges das ich gelernt habe ist, dass man einen Menschen, ob er eine helle oder eine dunkle Hautfarbe hat, nicht richtig beurteilen kann, bevor man diesen kennt", zieht eine Sechsklässlerin des Zürcher Schulhauses Grünau Bilanz. Gemeinsam mit ihren multikulturellen KlassenkameradInnen hat sie an einem Schulprojekt der besonderen Art teilgenommen: Eine sechste Primarklasse lernt eine Theatergruppe aus Burkina Faso kennen, deren Stück von Vorurteilen und Toleranz handelt. Die SchülerInnen helfen bei der Anpassung des Stücks an ein hiesiges Publikum mit, danach geht die Klasse gemeinsam mit der Theatergruppe ins Klassenlager nach Aubonne, wo sie in Kontakt mit einer einheimischen Schulklasse kommen. Deutsch- und Westschweizer SchülerInnen erkennen gemeinsam mit westafrikanischen SchauspielerInnen Mechanismen der Ausgrenzung und des Rassismus und lernen, wie man damit umgeht.
Die Initialzündung
Das Zürcher Quartier Grünau wird von Menschen unterschiedlicher Nationalität bewohnt, der Anteil fremdländischer Kinder beträgt zwischen 70 und 80 Prozent. Entsprechend multikulturell zusammengesetzt ist auch die Schülerschaft des Schulhauses Grünau. Die Grünau wird oft abschätzig als "Ghetto" bezeichnet. Viele Kinder erleben dort Rassismus und Ausgrenzung - auch Kinder Schweizer Nationalität. Die Kinder mit diesen negativen Erfahrungen nicht alleine zu lassen, hatte sich die Klassenlehrerin vorgenommen. Gerade richtig kam da das antirassistische Kultur-Austauschprojekt von Regisseur und Theaterpädagoge Roger Nydegger. Dieser war mit dem Ensemble des Théâtre de la Fraternité aus Burkina Faso und dessen Theaterstück "La Soupe Magique" an Zürichs Schulen unterwegs; ein Projekt, das u.a. vom Volkshochschulamt unterstützt wurde. Das Stück, welches sich mit den Themen Vorurteile, Verschiedenheit und Toleranz beschäftigt, richtet sich an Kinder von sechs bis zwölf Jahren.

Die Ziele
Bewegung verbindet man meist mit körperlicher Ertüchtigung. Bewegung beginnt aber im Kopf. Das gilt auch für das Verhalten gegenüber anderen Menschen. Doch im Kopf blockieren häufig Vorurteile und Klischeevorstellungen. Sie machen es fast unmöglich, auf Menschen zuzugehen, die einem "anders" vorkommen. Häufig ist der Grund für Vorurteile und Rassismus Angst vor dem Anderen, dem Fremden. Um diese, häufig von Erwachsenen genährten Ängste, Klischees und Vorurteile der Kinder ging es auch in der Schulklasse Grünau. Sie sollten mit Hilfe des Projekts bewusst gemacht und sowohl von Seiten der Burkinabé als auch seitens der Zürcher Schülerinnen durchleuchtet werden. Dies mit dem Ziel, über eine kognitive und emotionale Auseinandersetzung damit Mechanismen der Ausgrenzung und des Rassismus erkennen, das eigene Verhalten und das anderer dahingehend hinterfragen und allfällig ändern zu können.

Die Anwärmphase
Ein rund zweimonatiges Projekt will sorgfältig vorbereitet sein. Ein Elternbrief sowie ein Eltern-Kinder-Abend kündigten das gemeinsame Klassenlager mit den westafrikanischen SchauspielerInnen an und informierten über Details. Die SchülerInnen und Theaterleute setzten sich unabhängig voneinander mit der jeweils anderen Kultur auseinander. Vorstellungen von und Ängste gegenüber den jeweils Anderen wurden in Aufsätzen festgehalten und am Schluss des Projektes auf ihre Gültigkeiten überprüft. Auch die Ansichten der Eltern über Menschen mit schwarzer Hautfarbe kamen zur Sprache. Zusätzlich lasen die SchülerInnen Literatur zu Burkina Faso und sahen Filme wie "Wasser in Burkina Faso" und "Schwarzfahrer". Unter der Begleitung der Lehrerin und Roger Nydeggers wurden beide Seiten aneinander herangeführt: Die SchülerInnen besuchten die Theaterleute in Zürich. Das Ensemble spielte den Kindern das ursprünglich in Burkina erarbeitete französisch- und morésprachige Stück vor und nahm Feedbacks der SchülerInnen auf. Das Stück sollte angereichert werden mit Ideen, Gedanken, Traditionen, Liedern und Tänzen aus der Schweiz, was eine Anpassung des Stücks auf hiesiges Publikum zur Folge hatte. Im Gegenzug besuchten die Burkinabé die Grünau-Klasse, um in deren alltäglichen Umfeld über Unterschiede zu Schulen in ihrer Heimat zu reden.

Die Umsetzung
In diesem Projekt gehen Anwärmphase und konkrete Umsetzung Hand in Hand.

  • In Vorbereitung auf das Klassenlager wurde mit den SchülerInnen vor dem Hintergrund des Stücks "La Soupe Magique, Die Zaubersuppe" gearbeitet. Das Theaterstück thematisiert Verschiedenheit, Vorurteile und Toleranz am Beispiel zweier sehr unterschiedlicher König ( in diesem Fall aus den Königreichen Schweiz und Afrika), die sich nicht gut kennen und nicht teilen wollen, obwohl sie beide von einer Zusammenarbeit profitieren würden. Analysiert wurden Fragen wie: Warum sind die Könige verfeindet? Warum gelingt die Kooperation nicht?

  • Im einwöchigen Klassenlager in der Westschweiz begann die konkrete gemeinsame Arbeit.
    • Burkinabé/ Grünau-Kinder: Dort lebten die SchülerInnen nicht nur mit den Burkinabé zusammen, verständigten sich mit Händen und Füssen, sondern erarbeiteten auch gemeinsam ein Theaterstück. Im Rollenspiel erfuhren die Kinder Macht und Unterdrückung, entwickelten vorgegebene Szenen zu Rassismus; dabei spielten auch Schwarze Weisse und Weisse Schwarze. Anschliessend wurde in Diskussionen der Transfer zum Alltag der SchülerInnen geleistet: Wie fühle ich mich, wenn jemand mir nonverbal signalisiert, er mag mich nicht; wodurch sende ich Verachtung aus, ohne etwas zu sagen? Wie fühlt sich Anderssein an? Wann erfahre ich Ausgrenzung oder grenze aus?
    • Klasse Aubonne / Klasse Grünau: Im Klassenlager lernten die SchülerInnen gleichaltrige SchülerInnen aus der Westschweiz kennen und spielten ihnen das gemeinsam erarbeitete Theaterstück vor.

  • Nach dem Klassenlager wurden die Erfahrungen reflektiert und die beiden Erstkontakte - mit den Burkinabé und den WestschweizerInnen – verglichen, Themen wie Kolonialzeit, Machtverhältnisse und Rassismus im Mensch- und Umweltunterricht fortgeführt. Die Kinder hielten Referate zu Polygamie, Animismus, Tourismus in Westafrika. Organisiert wurde zudem ein Abschiedsfest für die westafrikanische Theatergruppe. Die Klasse aus Aubonne kam im darauf folgenden Sommer zum Gegenbesuch.

Die Kreativen
Mit grossem Engagement beteiligten sich die SchülerInnen der 6. Klasse samt ihrer Lehrerin Claudia Mathys sowie die vier SchaupielerInnen aus Burkina Faso. Das Théâtre de la Fraternité besteht seit 1975 und spielt im In- und Ausland. Roger Nydegger, Schauspieler, Theaterpädagoge und Regisseur, ist seit sechs Jahren an Projekten im Ausland beteiligt, die letzten Jahre als Regisseur für Kinderstücke in Ägypten, Gaza, Kuwait und Burkina Faso. Als Theaterpädagoge arbeitete er auch für das Schuldepartement der Stadt Zürich.

Die Adressaten
Das Projekt fand auf verschiedenen Ebenen grossen Anklang und erreichte Kinder wie Erwachsene. Zum einen wurde die gemeinsame Theaterproduktion der Austauschklasse aus Aubonne gezeigt sowie im eigenen Schulhaus anderen Klassen, Eltern und Freunden vorgespielt. Zusätzlich kam das, mit Hilfe der SchülerInnen ans Schweizer Publikum angepasste Stück "La Soupe Magique" für alle Klassen im Altersheim Grünau zur Vorführung. Gäste waren auch Eltern, Lehrpersonen und SeniorInnen. Im Rahmen eines Dokumentarfilms über die Arbeit von Roger Nydegger begleitete darüber hinaus die Zürcher Filmemacherin Katrin Oettli das Projekt.

Die Bilanz
"Meine Gedanken waren vor dem Projekt sehr unfair. Ich dachte, dass alle Schwarzen Drogen nehmen. Heute weiss ich, dass sie sehr nett sind und ich habe viel von ihnen gelernt", schrieb ein Schüler abschliessend in sein Ich-bin-ich-Buch, eine Art Tagebuch, das jedes Kind des Grünau-Schulhauses besitzt. Eine Schülerin notierte: "Ich merkte, dass meine ersten Gedanken, dass Afrikaner Menschen essen, nicht wahr sind." Der Abschied von den Burkinabé war tränenreich, was dafür spricht, dass anfängliche Ängste mehr als überwunden wurden. Dabei spielte die emotionale Erfahrung eine grosse Rolle. Zudem konnten Vorurteile und Klischees über Informationen zu Burkina Faso und seiner Bevölkerung durch Wissen ersetzt werden. Auch bei Eltern, von denen bekannt war, dass sie grosse Vorbehalte gegenüber dem Projekt und explizit Menschen mit schwarzer Hautfarbe hatten, liess sich bei den Theatervorstellungen und anschliessenden Apéros eine Öffnung bemerken. All dies, wie auch die Begegnung mit den WestschweizerInnen, löste auf allen Seiten einen Denkprozess aus, an dessen Ende die von den SchülerInnen formulierte Erkenntnis stand, dass "man einen Menschen, ob er eine helle oder eine dunkle Hautfarbe hat, nicht richtig beurteilen kann, bevor man diesen kennt."

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 7'178 Franken
    • Davon Personalkosten: 4'750 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 5'165 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Bei einem so intensiven Projekt kann es zu gelegentlichen Missverständnissen und Spannungen kommen, da nebst unterschiedlicher Charaktere auch verschiedene Kulturen aufeinander treffen. Deshalb ist es wichtig, dass das Projekt auch von Menschen begleitet wird, die als Mittler dienen können. In diesem Fall waren das Roger Nydegger und Barbara Duss, welche mit der Kultur der Burkinabé sehr vertraut sind.
  • Eine sorgfältige Anwärmphase und eine reflektierende Nachbereitung sind unabdingbar.
  • Die Erarbeitung eines Theaterstücks ist sehr anstrengend. Eine Alternative wäre die Erarbeitung von einzelnen Szenen im Sinne des Improvisationstheaters. Hierbei kann entspannter gearbeitet werden, da nicht das grosse Endziel Aufführung im Vordergrund steht.

Kontakt
Claudia Mathys, Schulhaus Grünau, Grünauring 26, 8064 Zürich, Telefon 078 724 33 55
Roger Nydegger, Gartenhofstrasse 31, 8004 Zürich, Telefon 078 714 67 64.

 
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