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Orientierungsschule des Broyebezirks
Rassismus habt ihr gesagt?
Die Tendenz zu Bandenbildung ist kein neues Phänomen. Sie ist sogar normal. Alarmierend wird die Zugehörigkeit zu einer Gruppe jedoch, wenn diese marginalisierend wirkt, Einheimische und MigrantInnen konfrontiert oder zu Diskrimi-nierung und Verurteilung führt. In der Orientierungsschule des Broyebezirks im Kanton Freiburg stellten Schulleitung und LehrerInnen in den zunehmend rassistisch gefärbte Verhaltensweisen fest. Gewisse SchülerInnen gingen gar so weit, ihre nationalistischen und rechts-extremen Einstellungen ohne jede Hemmung kundzutun. Um Verhaltensweisen mit extremem Gewaltpotenzial in den Griff zu bekommen, wurden punktuelle Aktionen durchgeführt. Zu diesen gehört auch das Projekt «Vous avez dit racisme". Es konfrontiert die Schülerinnen unter anderem mit ehemaligen Tätern und Opfern von Rassismus.
Die Initialzündung
Am 14. März 2003 randaliert in einem Dorf der Broye eine Gruppe junger Skinheads vor einem Haus, in dem zwei Familien aus Kosovo wohnen. Maskiert und mit Stöcken bewaffnet, schlagen sie gegen Wände und Fenster des Hauses, stossen rassistische Beleidigungen aus und sprayen Slogans auf die Briefkästen. Die an jenem Abend allein anwesenden Kinder sehen nur einen Ausweg: Sie wählen die ihnen bekannte Nummer des Polizeipostens – in ihrem Heimatland, das sie vor einigen Monaten verlassen haben. Bereits wenige Wochen zuvor war dieselbe Familie Opfer von Drohungen und Kritik geworden. Die schwierige Integration der Kinder in der Schule und im Dorf hatte die für die Eingliederungsklassen für MigrantInnenkinder zuständige Koordinatorin veranlasst, Massnahmen zu ergreifen. Dank der Kontakte mit Eltern, Behörden, Lehrpersonen und diversen Sensibilisierungsworkshops in den Primarklassen des Dorfes sowie des Beizugs eines Dolmetschers und Mediators liess sich die Situation verbessern. Im Anschluss an die Ereignisse vom 14. März wurde auf Initiative der Koordinatorin Kontakt mit der Leitung der Orientierungsschule aufgenommen, die in die Lancierung eines Projektes für antirassistische Erziehung in den drei Schulen einwilligte.

Die Ziele
Die erwähnten Ereignisse, aber auch ein Durchgangsheim für AsylbewerberInnen in Estavayer-le-Lac sowie die Ankunft mehrerer MigranInnenfamilien in verschiedenen Dörfern, gaben in der Folge Anlass zu harten Stellungnahmen, zu Ängsten («Mein Sohn wurde nach einer Tanzveranstaltung von einer Bande von Albanern verprügelt, nun fühlen sich die Jugendlichen nicht mehr sicher.») oder zu Gettoisierungstendenzen. Ein Projekt drängte sich deshalb auf, das den Kontakt zwischen sämtlichen Akteuren sicherstellte: Jugendliche, Lehrpersonen, Eltern, Bezugspersonen. Das Ziel war hoch gesteckt: Um die Problematik rassistischen und diskriminierenden Verhaltens besser erfassen zu können, sollte ein Dialog angeregt werden. Weshalb und wie entstehen solche Verhaltensweisen? In welchem gesetzlichen Rahmen sind sie anzusiedeln? Wie sollen sie angegangen werden? Wie lassen sie sich einschränken? Dieser Dialog sollte die Reflexion des eigenen Verhaltens und das anderer nach sich ziehen und dazu führen, rassistischen Tendenzen entgegentreten zu können.

Die Anwärmphase
Das Projekt wurde von einer Arbeitsgruppe lanciert, die sich aus VertreterInnen der Schulleitung, Lehrkräften sowie MediatorInnen zusammensetzte. Ebenfalls eingeladen war die der Erziehungsdirektion angehörende Koordinatorin der Eingliederungs-klassen für Migrantenkinder. In einem ersten Schritt definierte die Arbeitsgruppe die angestrebten Ziele und die verschiedenen Zielgruppen. Folgende Zielsetzungen wurden festgehalten:

  • Bei den SchülerInnen: Aufforderung zu Überlegungen über Nachteile und Folgen von rassistischem und diskriminierendem Verhalten; Anregung, nach Lösungen im Kampf gegen derartiges Verhalten zu suchen.

  • Beim Lehrpersonal und weiteren involvierten Personen an der Schule: Abstecken des allgemeinen theoretischen Rahmens von Rassismus und Vorbereiten von Wegen, damit sie besser reagieren können, wenn sie Zeugen von diskriminierendem Verhalten werden; Suche nach didaktischen Hilfsmitteln zur Unterstützung der Reflexion in der Klasse.

  • Bei Eltern und andern interessierten Personen aus der Bevölkerung: allgemeine Erörterung der Rassismusthematik und des Kampfs gegen Rassismus (einschliesslich des gesetzlichen Rahmens); Information über Möglichkeiten, rassistische und diskriminierende Verhaltensweisen (oder deren Vorläufersymptome) zu identifizieren; Aufzeigen von Wegen, um beim Auftreten solchen Verhaltens entsprechend reagieren zu können.

In einem zweiten Schritt wurden die Modalitäten der Zusammenarbeit festgelegt. Die kantonalen Behörden (Erziehungsdirektion, Justiz- und Polizeidirektion) wurden stark eingebunden, was die Glaubwürdigkeit des Projekts erheblich stärkte. Um dem Wunsch nach aktivem Einbezug der Teilnehmenden nachzukommen, engagierten die Organisatoren Igor Schimek (ZORBLEU) für die Animation der Workshops mit den SchülerInnen.

Die Umsetzung
Die Projektabwicklung erfolgte in mehreren Etappen:

  • Arbeitssitzung mit einleitendem Vortrag über theoretische und rechtliche Aspekte von Rassismus. Präsentation der Stiftung für Bildung und Entwicklung zum empfohlenen Vorgehen bei Workshops mit SchülerInnen und zu weiteren Möglichkeiten.

  • Organisation eines öffentlichen Informationsabends für Eltern und das allgemeine Publikum durch jede betroffene Schule (gesetzlicher Rahmen, Projekt usw.).

  • Aktivitäten mit SchülerInnen im schulischen Bereich: Vorträge über Rassismus ( Rechte – Pflichten – Lösungen), Erarbeitung von Workshops zur Bewusstmachung der Rassismusproblematik durch Igor Schimek, Diskussion mit jungen Ko-AnimatorInnen (ehemalige Täter oder Opfer), Diskussion in der Gruppe über Mittel zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus.

Die Kreativen
Zum Erfolg des Projekts beigetragen haben eine vierköpfige Arbeitsgruppe, die für die Eingliederungsklassen für MigrantInnenkinder zuständige Koordinatorin der Erziehungsdirektion, zwei wissenschaftliche Berater der Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Freiburg, die Mitarbeitenden der Stiftung für Bildung und Entwicklung in Lausanne, ZORBLEU (sein Animatorenteam und die Jugendlichen, die zu Zeugenaussagen bereit waren) sowie die SchülerInnen und Lehrpersonen (insbesondere die KlassenlehrerInnen) der Orientierungsschule des Broyebezirks.

Die Adressaten
Das in erster Linie auf die rund 1000 SchülerInnen der Orientierungsschule des Broyebezirks ausgerichtete Projekt hätte ohne die Einbindung der Lehrpersonals und der Eltern der betroffenen SchülerInnen sicherlich an Qualität eingebüsst. Deshalb stand die Förderung eines globalen Ansatzes im Vordergrund, um möglichst viele Personen aus der betroffenen Region anzusprechen.

Die Bilanz
Die gezogene Bilanz war äusserst positiv, und die Direktion betonte, wie wichtig die Durchführung eines globalen Projekts in der gesamten Schule für die Förderung einer Schulkultur an sich sei. Die hohe Beachtung in den Medien trug zu einer Erweiterung der Diskussion in der Familie, in den betroffenen Kreisen und in den verschiedenen Gemeinden bei. Die Vorschläge der SchülerInnen zur Bekämpfung von Rassismus wurden in einem Brief an die Eltern und in der Schulzeitung weiter verbreitet. Der Slogan «Le respect, la confiance et la tolérance créent la bonne ambiance.» («Respekt, Vertrauen und Toleranz schaffen die richtige Atmosphäre.») wurde auf einem Lineal verewigt, das die SchülerInnen zum Jahresabschluss geschenkt bekamen. Des Weiteren hob der Schulleiter hervor, dass ein derartiges Projekt nur langfristig Früchte tragen kann und nicht als einmalige Aktion erachtet werden darf. In der Orientierungs--schule des Broyebezirks gab es ein «Vorher», aber es wird auch ein «Nachher» geben. Die Reflexion an der Schule geht weiter.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 15’150 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 8'500 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Das Projekt in den Schulalltag integrieren, damit der Dialog nicht als etwas Aussergewöhnliches erscheint.
  • Viel Zeit für Aktivitäten der SchülerInnen und die Arbeit in Workshops reservieren.
  • Auch Kirchenbesuche im Projekt vorsehen.
    Muslimische Eltern sehr früh über das Projekt informieren.

Kontakt
Mary-Claude Wenker, Direktion für Erziehung, Kultur und Sport (DEKS), Spitalgasse 1, 1700 Freiburg (Tel. 026 305 12 48).

 
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