Übersicht
Waadtländer Schulklassen, PH des Kantons Waadt
Mosaïque
In südlichen und östlichen Regionen Europas lancierte Methoden zur Bewältigung von Diskriminierung finden häufig wenig Beachtung. Das Projekt "Mosaïque" räumt ihnen einen wichtigen Platz ein und ermöglicht es jungen SchülerInnen, die als MigrantInnen in der Schweiz leben, mit ihresgleichen, ihren LehrerInnen und weiteren Bildungsfachleuten Erfahrungen zu teilen: Erfahrungen in Zusammenhang mit Migration, Exil und Integration im Aufnahmeland, aber auch Erfahrungen bei ihrer Rückkehr ins Heimatland. Bei der Konfrontation mit Landsleuten, welche die Tragweite einer Flucht nicht erfassen können und deshalb den Rückkehrenden häufig mit Ablehnung begegnen. Dies oft schmerzlichen Erfahrungen und diskriminierenden Erlebnisse können überwunden werden. Durch Kompetenzen, die es zu teilen gilt.
Die Initialzündung
Im Jahr 2002 fand im Rahmen einer Studie über die Schweiz und Bosnien ein erstes interkulturelles Seminar statt. Veranstaltungsort war Sarajewo. Organisiert wurde das Treffen von der schweizerisch-bosnische DGEO-Mitarbeiterin Spomenka Alvir. Am Seminar nahmen rund 30 Personen teil, darunter heimgekehrte bosnische SchülerInnen, ihre LehrerInnen sowie Lehrpersonen, welche die Jugendlichen nach ihrer Flucht in die Schweiz empfangen hatten. Der Schwerpunkt der Zusammenkunft lag darin, diesen Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich gegenüber ihren LehrerInnen zu äussern und über all die Kompetenzen im Umgang mit diskriminierendem Verhalten zu sprechen, welche sie sowohl während ihres Exils als auch seit ihrer Heimkehr entwickelt hatten. Im Rahmen des Seminars machten die jungen BosnierInnen den Vorschlag, einen solchen Dialog mit andren Schulklassen, insbesondere in der Schweiz, fortzusetzen. Weshalb sollten Schweizer SchülerInnen und ihre LehrerInnen ihnen nicht zuhören und so von einem im Osten veranstalteten Experiment profitieren können?

Die Ziele
Üblicherweise erfolgt ein Wissensaustausch aus den Ländern des Nordens in die Länder des Süden oder von West nach Ost. In diesem Projekt sollte es umgekehrt sein, indem bosnische Akteure ihre in Bosnien gemachten Erfahrungen mit dem Westen teilten. Die Aussagen einer Schülerin, die als Migrantin in Schweizer Klassen aufgenommen worden war, sollte den LehrerInnen und AusbilderInnen bewusst machen, mit welchen Schwierigkeiten solche Jugendliche zu kämpfen haben und welche Bedürfnisse vorhanden sind, vor allem jedoch, welche Kompetenzen diese SchülerInnen entwickeln, um dem durch Migration, Integration und Akkulturation entstehenden Stress zu begegnen. Die Schweizer SchülerInnen sollten Gelegenheit erhalten, sich mit den von ihren Erfahrungen berichtenden Personen zu identifizieren und einen Zusammenhang zwischen der erwähnten Diskriminierung oder den schmerzhaften Situationen und ihrer eigenen Realität herzustellen.

Die Anwärmphase
Das Projekt versteht sich als Fortsetzung der 2001/2002 durch Spomenka Alvir in Bosnien durchgeführten Untersuchung und der von den Jugendlichen gemachten Vorschläge. Die Umsetzungsphasen waren die Folgenden:

  • Verankerung des Projekts im institutionellen Rahmen (DGEO, PH), um so eine grössere Anerkennung sicherzustellen
  • Kontaktnahme mit dem Lehrpersonal (KlassenlehrerInnen/AusbilderInnen) und Planungsorganisation
  • Vorbereitung von Workshops mit der bosnischen Pädagogin von der Schweiz aus; Anpassung der Aktivitäten an den schweizerischen Kontext; Vorbereitung der von ihren Erfahrungen berichtenden Schülerin.

Die Umsetzung
Arbeit mit den SchülerInnen: Workshops mit zwei Einheiten, Co-Animation durch die ehemalige Schülerin Bisera Cero und die Pädagogin Nefiza Dautovic – beide aus Bosnien.

  • Bericht von Bisera über ihren Aufenthalt in der Schweiz, der sich – hauptsächlich auf Grund der empfundenen Diskriminierung und Ausgrenzung – als schmerzliche Erfahrung erwiesen hatte. Die Studentin Bisera sagte zur Haltung des Lehrpersonals: «Was ich gebraucht hätte, wäre eine bessere Beratung zum Erlernen der Sprache gewesen, statt des Auswendiglernens von Lektionen, die ich nicht verstand, und dass sich ab und zu auch jemand für mein Wissen in meiner Sprache interessiert hätte.» Sie stellte jedoch auch ihr eigenes Verhalten in Frage: «Ich habe mich zurückgezogen, da ich das Bedürfnis hatte, unter meinen Landsleuten zu sein», gibt sie zu im Bewusstsein, dass dies ihrer Integration nicht förderlich gewesen war.

  • In den Antworten auf die Fragen der SchülerInnen liessen sich die von Bisera entwickelten Kompetenzen konkretisieren («Was ich tat, wenn ich mich allein und abgelehnt fühlte? Ich suchte das Gespräch mit meiner Lehrerin, die mich verstand und sich Zeit nahm für mich.").

  • Anschliessend wurden den SchülerInnen Animationen zur Erkennung eines Zusammenhangs mit ihrer eigenen Realität vorgeschlagen. Eine einfache Übung, die darin bestand, den Vornamen einer Schülerin/eines Schülers mit einer persönlichen Eigenschaft in Verbindung zu bringen, zeigte, wie schwierig es ist, die Fähigkeiten jedes Einzelnen in Worte zu fassen. Alle verfügen über Kompetenzen, sind sich ihrer jedoch nicht immer bewusst. Wichtig ist es, sie beim Namen zu nennen.

  • Zum Schluss wurden die SchülerInnen aufgefordert, Kindern in andern Ländern eine Botschaft zu übermitteln, und zwar in der Form, die ihnen am geeignetsten schien (Gedicht, Zeichnung, usw.).

Arbeit mit den Lehrpersonen und weiteren Bildungsfachleuten:
Es fanden drei Treffen statt. Das Hauptgewicht lag dabei auf der Berichterstattung der ehemaligen Schülerin und auf den in Bosnien entwickelten Projekten, insbesondere auf dem Projekt «Mosaïque». Die anlässlich des Seminars von Sarajewo vorgebrachten Erfahrungs-berichte bewiesen, wie wichtig es war, ein Bildungsprogramm zur Bekämpfung der Diskriminierung an bosnischen Schulen zu entwickeln. Dieses sollte den Mitgliedern der verschiedenen örtlichen Gemeinschaften (serbisch, kroatisch und bosnisch) ein besseres Zusammenleben ermöglichen. Das Vorgehen umfasste:

  • Die Arbeit mit den Eltern, um den Erwachsenen in den verschiedenen Gemeinschaften Gelegenheit zu geben, ihre Ängste und Schwierigkeiten zusammen anzugehen, gewisse Aktivitäten mit ihren Kindern zu unternehmen und eine gemeinsame Zukunft ins Auge zu fassen.

  • Die Arbeit mit den SchülerInnen, die insbesondere zentriert war auf das Ausdrücken von Gefühlen, die in Ausgrenzungssituationen entstehen, sowie auf die Feststellung vorrangiger und allgemein gültiger Werte (Solidarität, Respekt usw.). Dazu wurde ein Gemeinschaftsprojekt (Bild, Inszenierung) realisiert, in dem jeder Einzelne Gelegenheit fand, seinen Platz zu finden sowie gehört, verstanden und respektiert zu werden.

  • Die Arbeit mit den LehrerInnen in Form von Themenseminaren (Friedens-erziehung, Menschenrechte und Rechte des Kindes usw.).

Die Kreativen
Das Projektteam wurde zusammengestellt durch die schweizerisch-bosnische Pädagogin Spomenka Alvir, die über Berufserfahrungen in der Schweiz (Lehrerin, Kulturvermittlerin usw.) und in Bosnien verfügt. Hinzu kamen zwei zentrale bosnische Protagonistinnen:

  • Nefiza Dautovic, Pädagogin,
  • Bisera Cero (22 Jahre), Studentin der Geisteswissenschaften an der Universität Sarajewo, als Migrantin von 1992 bis 1997 Schülerin in der Schweiz.

Die Adressaten
Das Projekt richtete sich in erster Linie an multikulturelle Schulklassen oder an solche, die von der Integration ausländischer SchülerInnen betroffenen waren. Es wurde ausgedehnt auf weitere Lehrpersonen und Fachleute, die für die Aufnahme und die Integration von MigrantInnenkindern zuständig oder daran interessiert sind.

Die Bilanz
Die Bilanz war sehr positiv. Sehr bereichernd wirkten die Erfahrungs-berichte einer ehemaligen Schülerin. Ein Lehrer drückte es so aus: «Wir alle sehen uns an etwas aus ihrer Schulzeit erinnert. Dieser Austausch prägt sich bestimmt ins Gedächtnis eines jeden ein.» Da dieses Experiment eine weitere Verbreitung verdient, wurde von der DGEO ein pädagogisches Hilfsmittel erstellt und breit gestreut.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 6’800 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 5’400 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Erfahrungsberichte sollten von Jugendlichen kommen, die eine Verbindung zur jeweiligen Schule nachweisen können (sind ehemalige SchülerInnen, haben eine ähnliche Klasse absolviert oder kennen eine LehrerIn).
  • Der Altersunterschied zwischen Berichtenden und SchülerInnen darf nicht zu gross sein, weil sich die Jüngeren mit den Älteren identifizieren können sollen.
  • Dennoch soll eine gewisse Distanz (mindestens 5 Jahre) zur Schulzeit gegeben sein, um eine strengere und objektivere Analyse zu ermöglichen.
  • Wesentlich ist die Vorbereitung der jugendlichen Berichterstattenden: Selbstkritik und eine objektive Selbsterkenntnis zu wecken und die Aussagen durch möglichst konkrete Beispiele zu belegen, ist dabei wichtig.
  • Es muss genügend Zeit für die Zusammenarbeit mit den Eltern der Schülerinnen eingeplant werden. Dies stellte sich als Schwachpunkt dieses Projektes heraus.

Kontakt
Spomenka Alvir, pädagogische Mitarbeiterin DGEO VD, Ch. de Valfaye 4, 1010 Lausanne (Tel. 021 316 32 54)

 
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