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Schulhaus Boppartshof, St. Gallen
Respekt vor dem Anderen
Miteinander reden, sich begegnen, gemeinsam spielen und essen. All das fördert die Toleranz und den Respekt vor dem Anderen. Eine Kleinklasse aus St. Gallen, die in der Schule eher schlecht integriert ist und deren SchülerInnen fast ausnahmslos ausländischer Herkunft sind, verbrachte im Kinderdorf Pestalozzi eine Projektwoche mit Kindern aus Russland. Dabei galt es, das Selbstbewusstsein der Klasse zu stärken, aus Fremdem Bekanntes zu machen und den SchülerInnen im Rahmen eines Rassismus-Workshops Mittel an die Hand zu geben, um mit Vorurteilen konstruktiv umgehen zu können. Über die Projektwoche hinaus fanden Begegnungen zwischen den russischen Kindern und den Familien der SchülerInnen statt. "Mein Empfinden ist, dass die SchülerInnen und deren Eltern diese Projektwoche als etwas empfanden, was sie selber betrifft", resümiert Klassenlehrerin Bernadette Kurer.
Die Initialzündung
Einfach ist die Situation der Ostschweizer Kleinklasse (Sonder D) nicht: Zum einen sind die meisten der 11- bis 14-jährigen SchülerInnen ImmigrantInnen, aus dem ehemaligen Jugoslawien, Sri Lanka und anderen Ländern. Zum anderen kommen die Kinder meist mit dem Bus zur Schule. Das wäre nicht weiter schlimm, doch für die ortsansässigen Kinder des Schulquartiers sind sie damit "Aussenseiter" auf der ganzen Linie. Im Schulhaus werden sie meist aufgrund ihrer sportlichen Leistungen oder aber durch "wehrhaftes" Verhalten wahrgenommen. Die Integration dieser Kinder stellt die Schule vor eine dauerhaft schwierige Aufgabe. Die schulbegleitende Austauschwoche der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi sollte zu einem verstärkt friedvollen interkulturellen Zusammenleben im Schulhaus und darüber hinaus beitragen.

Die Ziele
Nur wer seinen kulturellen Hintergrund und die Mechanismen von Rassismus und Diskriminierung kennt, kann voller Selbstvertrauen auf Fremdes zugehen und Vorurteilen und Ausgrenzung selbstbewusst begegnen. Das eigene Leben in der Schweiz reflektieren, das Selbstvertrauen stärken und im Kontakt mit anderen Kulturen Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten kennen und respektieren lernen, das waren Ziele, welche sich die Projektverantwortlichen für die St. Galler Kleinklasse gesteckt hatten. Im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der UN-Kinderrechts-Konvention - wonach niemand aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Sprache, Abstammung, politischen Anschauung oder Religion benachteiligt oder bevorzugt werden darf und der Schutz vor Diskriminierung verbrieft ist – sollte die gegenseitige Akzeptanz und die interkulturelle Dialogfähigkeit gestärkt werden.

Die Anwärmphase
Bereits im Vorfeld beschäftigten sich die SchülerInnen im Rahmen ihrer wöchentlichen Bibliotheksstunde mit Lebensgeschichten von Kindern aus aller Welt. Meist stammten diese Kinder aus benachteiligten Familien, hatten mit Armut, Ausbeutung, geschlechterspezifischer Benachteiligung und den Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen zu kämpfen. In Zusammenhang mit der Projektwoche sollten diese Geschichten vor dem Hintergrund der Menschenrechte betrachtet werden. Eine Woche vor Projektbeginn bereiteten die SchülerInnen eine Präsentationen über ihr Umfeld in der Schweiz vor – über die Familien, Feste, die Schulwege und die Quartiere, in denen sie leben. Die Eltern wurden aufgefordert, die Arbeiten ihrer Kinder mit Fotos, Dias oder Videos zu unterstützen. Diese Projektarbeit stiess anfangs auf Zögern, vor allem was die Illustration mit Bildern betraf, entwickelte sich dann aber sehr positiv und löste bei den SchülerInnen bereits viele Diskussionen aus. Ziel dieser Präsentation war es, sich so den russischen Kindern im Kinderdorf als Gruppe vorzustellen.

Die Umsetzung
Gemäss eines von der Klassenlehrerin und den pädagogischen MitarbeiterInnen des Kinderdorfes entworfenen Wochenplanes ging die Projektwoche im Kinderdorf in Trogen ihren Gang. Dabei war das interkulturelle Begegnungsprojekt vor allem durch gemeinsames Erleben geprägt. Die Projektwoche wurde abschliessend mündlich wie schriftlich mit der Lehrerin und den SchülerInnen evaluiert.

  • 18 Kinder aus Russland und neun Kinder der Schulklasse aus St. Gallen stellten sich über ihre erarbeiteten Präsentationen den Anderen vor. Das Spezielle dabei war der Perspektivenwechsel für die KleinklassenschülerInnen: Gegenüber der russischen Gruppe stellten sie sich als Schweizer Klasse vor. SchülerInnen, die an ihrer eigenen Schule sonst eher als "Aussenseiter" und "Sonderfall" wahrgenommen werden, wurden nun zum Normalfall.

  • Ein halbtägiger Rassismus-Workshop sollte die Kinder zur Auseinandersetzung mit dem Thema animieren und ihnen Instrumente an die Hand geben, mit denen sie eigenen und fremden Vorurteilen konstruktiv begegnen können.

  • In Rollenspielen setzen sich die Kinder mit der eigenen Herkunft auseinander, betrachteten in gemischten Gruppen den Alltag der anderen, arbeiteten Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten heraus. In einem Video hielten die SchülerInnen und die russischen Kinder fest, wie gemeinsam non-verbal miteinander gespielt und trotz sprachlicher Probleme Austausch gepflegt werden konnte.

  • Daneben wurden bei Spiel, Sport, Theater, Grillieren und einer Abschlussdisco freundschaftliche Beziehungen hinaus geknüpft.

Im Anschluss an die Projektwoche lud die Kleinklasse die 18 russischen Kinder nach St. Gallen ein, zeigten ihnen den Schulbetrieb. Jeder Schüler und jede Schülerin lud zwei der russischen Gäste zu sich nach Hause zum Essen ein. Die russischen Kinder wurden von den fast ausnahmslos ausländischen Eltern mit grosser Gastfreundschaft empfangen. Noch manches Mal besuchten die KleinklassenschülerInnen die russischen Kinder in Trogen.

Bedeutend schwerer als der Kontakt mit den "fremden" Jugendlichen fiel den KleinklassenschülerInnen die Präsentation ihrer Arbeiten im eigenen Schulhaus: Im Foyer wurden die Plakatwände über ihr Leben in der Schweiz ausgestellt. Das während der Projektwoche entstandene Video wurde interessierten Klassen vorgespielt.

Die Kreativen
Mit Engagement beteiligt waren die pädagogischen MitarbeiterInnen des Kinderdorfs, die Klassenlehrerin und die Jugendlichen aus Russland. Nicht zuletzt auch die neun 11- bis 14- jährigen SchülerInnen der Kleinklasse aus St. Gallen, die es vorgezogen hatten, anstatt ins Skilager zu fahren, an diesem Projekt gegen Rassismus und für die Menschenrechte teilzunehmen.

Die Adressaten
Im Blickpunkt der Projektwoche standen vor allem die SchülerInnen und Eltern der Kleinklasse.

Die Bilanz
Jugendliche und Erwachsene begegneten sich über Sprach- und Ethniengrenzen hinweg und bauten Scheu und Misstrauen ab. Zudem wurde das Selbstbewusstsein der St. Galler SchülerInnen als Schweizer Schulklasse gestärkt. Die Projektwoche wurde von den SchülerInnen auch deshalb als so angenehm empfunden, weil sie in einem Umfeld stattfand, dass sie in ihrem Alltag so nicht vorfinden: Die meisten der SchülerInnen leben an befahrenen Strassen mit viel Lärm, Gestank und wenig Spielmöglichkeiten. Sowohl die Kinder wie auch ihre Eltern empfanden, laut eigenen Angaben, die Woche als sehr positiv, da die Aktion ihnen das Gefühl gab, in St. Gallen werde für einmal was für sie getan.

Die Finanzen

  • Gesamtkosten: 4'270 Franken
    • Davon Workshop: 2'450 Franken
  • Schulfonds, Stiftung Bildung und Entwicklung: 1'200 Franken

Noch ein paar Tipps

  • Die Eltern sollten unbedingt ins Projekt miteinbezogen werden, da ihr Engagement für die langfristige Integration der Kinder sehr wichtig ist.
  • Der Rassismus-Workshop überforderte die Kleinkasse teilweise intellektuell. Dies und die eigene Betroffenheit einzelner Kinder verunmöglichten in weiten Bereichen die Teilnahme an Tests und Übungen. Daher sollten allfällige Unterschiede zu einer Regelklasse sorgfältig berücksichtigt und das Niveau entsprechend angepasst werden.

Kontakt
Bernadette Kurer, Schulhaus Boppartshof, Wolfgangstr. 15, 9014 St. Gallen, Telefon 071 277 33 37.
Florian Karrer, Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, 9043 Trogen, Telefon 071 343 73 45

 
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