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Schweiz. Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren
Erklärung zu Rassismus und Schule
vom 6. Juni 1991

 

Die schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) begrüsst den Beitritt der Schweiz zum Abkommen der Vereinten Nationen "zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung". Das weltweite Problem der Respektierung der Menschenrechte, aber ebenso das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen in der Schweiz fordern auch das Bildungswesen heraus.
Für unsere Schulen gelten allgemein die in den "Empfehlungen der EDK zur Schulung
der fremdsprachigen Kinder und Jugendlichen" festgehaltenen Grundsätze:

  • volle Integration der fremden Kinder und Jugendlichen
  • Wertschätzung der anderen Kultur dieser Menschen und positive Rücksichtnahme darauf

Darüber hinaus hat die Schule aller Stufen zur Achtung vor den Mitmenschen, zur Toleranz unter religiösen, ethnischen, sozialen u.a. Gruppen und zum Frieden unter den Völkern zu erziehen. Unterricht und Erziehung in der Schule wirken darauf hin, dass offene und versteckte Formen von Rassismus bewusst gemacht und bekämpft werden und dass die Begegnung mit fremden Menschen und Gruppen angstfrei und offen verlaufen kann. Diese Grundsätze sollen namentlich auch in der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung
sowie bei der Erstellung von Lehrplänen und Lehrmitteln beachtet werden.

 

 

Bericht der Pädagogischen Kommission der EDK
in Ergänzung zur Erklärung der EDK zu Rassismus und Schule
vom 11. Juli 1991

Das Anwachsen von versteckten und offenen rassistischen Handlungen in der Schweiz gibt zur Beunruhigung Anlass. Der Beitritt der Schweiz zum "Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung" der Vereinten Nationen ist darum zu begrüssen und zu unterstützen. Das Übereinkommen verstärkt das in der schweizerischen Rechtsordnung verankerte Diskriminierungsverbot und konkretisiert es in bezug auf die Rassendiskriminierung. Für verständnisfördernde Massnahmen kommt den Medien und der Erziehung grosse Bedeutung zu.

 

Einführung

Rassendiskriminierung und Rassismus richten sich vor allem gegen Menschen anderer Rasse, Hautfarbe und ethnischer Herkunft. In ähnlicher Weise erfolgen auch Ausgrenzungen und Diskriminierungen aus Gründen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Rassismus äussert sich in der Abwertung anderer Gruppen und Personen, in diskriminierenden und teilweise auch kriminellen Handlungen. Rassismus tritt oft in verdeckten Formen und teilweise unbewussten Haltungen auf. Beidem gilt es gleichermassen entgegenzuwirken. Dem Erziehungs- und Bildungswesen kommen im Zusammenhang mit den Bemühungen zur Beseitigung von Rassismus und Rassendiskriminierung wichtige Aufgaben zu. Erziehung zur Achtung vor dem Mitmenschen und zur Toleranz gehören zum zentralen Auftrag von Schule und Erziehung. Es ist zudem eine Grundaufgabe aller an der Schule Beteiligten, sich dafür einzusetzen, dass jedes Kind, unabhängig von Rasse, Religion, ethnischer und kultureller Herkunft gefördert wird.

 

Ursachen

Rassendiskriminierung hat vor allem politisch-historische und psychologisch-gruppendynamische Ursachen. Aus politisch-historischen Gründen dient Rassismus vor allem zur Rechtfertigung von Machtansprüchen und Unterdrückung bestimmter Völkergruppen
(Sklaverei, Kolonialismus, Drittes Reich), während tiefenpsychologischgruppendynamische Ursachen aus dem Bedürfnis resultieren, sich gegen aussen abzugrenzen und Fremdes auszuschliessen, um dadurch die Zusammengehörigkeit und das Gemeinschaftsgefühl zu fördern. Verstärkt wird die Tendenz zum Rassismus durch Unzufriedenheit mit der eignen Lebenssituation und tatsächlicher oder vermeintlicher Bedrohungen von Lebensbedürfnissen. Die Tendenz zur Ausschliessung anderer, welche sich bis zur eigentlichen Diskriminierung entwickeln kann, ist eine Gefahr, gegen die keine Gruppe und keine Nation gefeit ist. Hetzparolen und aggressive Handlungen gegen Asylbewerber, Witze über Menschen anderer Nationen oder Kulturen, Aktionen gegen Fahrende, Diskriminierungen von Immigranten bei der Wohnungssuche und tendenziöse Berichterstattungen verschiedener Massenmedien zeigen Rassismus in der Schweiz in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen. Es gilt darum, nicht nur extreme Formen von rassistischem Verhalten zu bekämpfen, sondern vor allem auch die verdeckten Formen von Rassismus und Rassendiskriminierung bewusst zu machen und ihnen entgegenzuwirken.

 

Erziehungsziele, welche Rassismus abbauen und verhindern sollen

Rassendiskriminierung muss auf allen Ebenen bekämpft und beseitigt werden. Rassismus als Haltung ist darum schwieriger zu beseitigen, weil er durch blosse Unterdrückung nur unberechenbarer wird und sich in unerwarteten und gefährlichen Momenten manifestieren kann. Es ist darum wichtig, dass in Schule und Erziehung versteckte und unbewusste Formen von Rassismus immer wieder ins Bewusstsein gehoben werden, und auch der Mut und die Fähigkeit entwickelt werden, sich mit eigenem und fremdem Rassismus auseinanderzusetzen und dagegen anzugehen. In Schule und Erziehung sollen vor allem jene Verhaltensweisen gefördert werden, welche menschliches Zusammenleben verbessern und dem Rassismus entgegenstehen. Der Grundsatz 10 der Erklärung der Vereinten Nationen zu den Rechten der Kinder fordert denn auch in doppelter Richtung: "Das Kind wird von Handlungen bewahrt, die rassistische, religiöse oder andere Herabsetzungen fördern. Es wird erzogen im Geist des Verstehens, der Duldsamkeit, der Freundschaft zwischen den Völkern, des Friedens, weltumspannender Brüderlichkeit und in der Vorstellung, dass seine Kraft und Fähigkeiten dem Dienst an seinem Mitmenschen zu widmen sind." Zu fördern sind darum in der Erziehung:

  • Sicheres Selbstwertgefühl in der Begegnung mit anderen
    Wer ein stabiles Selbstwertgefühl aufbauen kann und sich selbst akzeptiert, kann auch andere akzeptieren und braucht diese nicht abzuwerten. Ein sicheres Selbstwertgefühl gibt Offenheit im Kontakt mit andern auch fremden Menschen und den Mut, sich rassistischen Tendenzen im eigenen Umfeld zu widersetzen.

  • Persönliche Identität und Offenheit gegen aussen
    Wer weiss, wer er ist, wer sich in seinem Lebens- und Kulturraum geborgen und sicher fühlt, der kann sich für Neues und Fremdes öffnen. Dadurch wird die kritische Auseinandersetzung mit sich und anderen möglich.

  • Breite Wahrnehmung und Sensibilität gegen innen und aussen
    Wer in der Lage ist, eigene und fremde Gefühle wahrzunehmen und darauf sensibel zu reagieren, der ist weniger gefährdet, andere zu verletzen und zu diskriminieren.

  • Wahrung der Menschenrechte und der demokratischen Kultur
    Wer menschliche Grundrechte und demokratische Spielregeln kennt und schon früh erfahren hat, bildet Denk- und Verhaltensgewohnheiten aus, welche dem Rassismus und der Rassendiskriminierung entgegenstehen.

  • Solidarität mit Benachteiligten
    Wer gelernt hat, gegenüber Benachteiligten und Schwächeren verantwortlich zu handeln, wird Benachteiligungen aus rassistischen Gründen eher erkennen und ihnen entgegentreten können.

  • Bewusstmachung von verstecktem und unbewusstem Rassismus
    Wer gelernt hat, versteckte Formen von Rassismus bei sich selbst und seiner Umgebung zu entdecken, wird sein Urteil kritischer überprüfen und diskriminierendes Handeln unterlassen.

  • Wahrnehmung der Einheit der menschlichen Gemeinschaft
    Wer die Einheit der menschlichen Gemeinschaft und die eigene Zugehörigkeit dazu erkennt,
    entwickelt anderen gegenüber ein solidarisches Bewusstsein.

 

Massnahmen

Die vorgängig genannten Zielsetzungen betreffen vor allem das Erzieherverhalten und das Zusammenleben in der Schule. Sie bedürfen, um wirksam zu werden, der Ergänzung durch Massnahmen im nachfolgenden Sinne:

  • Kantone
    • Sie überprüfen ihre Schulstrukturen, Verordnungen, Reglemente und Organisationen daraufhin, dass sie sich für Kinder anderer Herkunft und Kulturen unterstützend und nicht diskriminierend auswirken.
    • Sie stellen den Schulbesuch von Kindern von Asylbewerbern und Immigranten sicher.
    • Sie anerkennen das Recht von Kindern von Immigranten auf ihre Muttersprache und fördern die Aufwertung der Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur.
    • Sie unterstützen in der Erwachsenenbildung jene Angebote für Immigranten und Schweizer, welche die gegenseitige Kenntnis der unterschiedlichen Kulturen verbessern. Dazu fördern sie die Ausbildung und gleichberechtigte Mitarbeit von Erwachsenenbildnern ausländischer Herkunft.
    • Sie überprüfen Lehrpläne und Lehrmittel auf rassistisches Denken und empfehlen jene, welche die Achtung vor anderen Menschen, Rassen und Kulturen fördern.

  • Lehrerbildung
    • Sie betont die Toleranz und das Verständnis gegenüber Minderheiten und die Achtung vor dem Mitmenschen im schulischen Alltag als Grundanliegen.
    • Sie bearbeitet das Thema des Rassismus mit Ursachen, Erscheinungsformen und Möglichkeiten zur Verhinderung in verschiedenen Fächern, vor allem aber in Geschichte, Psychologie, Fremdsprachen und Religion.
    • Sie vermittelt Grundkenntnisse der interkulturellen Erziehung und gibt Hinweise zur gemeinsamen Schulung von Kindern aus anderen Kulturen und Schweizer Kindern.
    • Sie vermittelt didaktisch/methodische Verfahren, welche die Verständigung fördern und dem Rassismus entgegenstehen.

  • Lehrerfortbildung und Lehrerberatung
    • Sie machen Angebote, welche besonders die Sozialerziehung und Stärkung der Persönlichkeit ins Zentrum stellen.
    • Sie vermitteln Kenntnisse über Herkunftsländer von Immigranten sowie über die Asylpolitik.
    • Sie machen Angebote zur Anregung und Unterstützung im Bereich der interkulturellen Erziehung.
    • Sie unterstützen durch Beratung besonders jene Lehrer, welche Klassen mit einem hohen Anteil an Kindern aus anderen Sprach- oder Kulturregionen unterrichten.

  • Schulbehörden
    • Sie unterstützen unbürokratische Lösungen bei auftretenden Schwierigkeiten. Insbesondere berücksichtigen sie die Zugehörigkeit zu andern Sprach- und Kulturgruppen bei Promotions- und Selektionsentscheiden.
    • Sie unterstützen Projekte und Aktivitäten von Schulen und Klassen, welche den direkten Kontakt und die Verständigung zwischen Mehrheit und Minderheiten fördern. Zu den Minderheiten zählen alteingesessene religiöse und sprachliche Minderheiten (Juden, Fahrende) wie auch die neu eingewanderten Arbeitsimmigranten und Flüchtlingsgruppen.
    • Sie pflegen Kontakt zu den ausländischen Eltern, informieren sie über die Schul- und Bildungsmöglichkeiten in der Schweiz und stellen sicher, dass sich die Eltern bei wichtigen Entscheiden, welche die Bildung ihrer Kinder betreffen, auf kantonaler und kommunaler Ebene beteiligen können.

  • Lehrerorganisationen
    • Sie fördern und unterstützen die internationale Zusammenarbeit und insbesondere den Austausch von Lehrkräften.
    • Sie setzen sich an ihren Tagungen und Veranstaltungen für die Bekämpfung der Rassendiskriminierung ein.
    • Sie fördern und unterstützen die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften für heimatliche Sprache und Kultur.

  • LehrerInnen
    • Sie orientieren sich an Erziehungszielen, welche dem Rassismus entgegenwirken.
    • Sie helfen Kindern aus anderen Sprach- oder Kulturregionen, sich in ihrem neuen Lebensraum zurecht zu finden.
    • Sie versuchen, den Kindern und Jugendlichen fremde Kulturen näher zu bringen, ohne diese zu exotisieren.
    • Sie zeigen Ursachen und Formen von Rassismus im Alltag auf und machen ihn durch entsprechende methodische Hilfen (z.B. Rollenspiel, Geschichten, Unterrichtsprojekte usw.) bewusst und erlebbar.
    • Sie nehmen gegen Rassismus und Rassendiskriminierung Stellung und zeigen Reaktionsmöglichkeiten dagegen auf.
    • Sie versuchen, auf allen Schulstufen in altersgemässer Form den SchülerInnenn bewusst zu machen, dass sich unsere Gesellschaft aus Menschen mit verschiedenen Sprachen, Religionen, Rassen und Herkunftsländern zusammensetzt und welche Chancen, Herausforderungen und Belastungen damit für alle Mitglieder dieser Gesellschaft verbunden sind.
 
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